Morddeutung: Roman (German Edition)
hören.« Sie waren im Büro des Coroners angelangt. »Ich will überhaupt nichts mehr von der ganzen Sache hören. Gehen Sie doch zum Bürgermeister mit Ihren Erkenntnissen. Er wird Ihnen sicher gerne zuhören. Ich habe Ihnen schon mal gesagt, für mich ist der Fall abgeschlossen.«
Littlemore schüttelte verwirrt den Kopf. Erst jetzt bemerkte er die Stapel von Dokumenten und Kisten auf dem Büroboden. »Fahren Sie weg, Mr. Hugel?«
»In der Tat. Ich gebe meine Stelle hier auf.«
»Sie kündigen?«
»Ich kann unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten. Meine Schlussfolgerungen werden nicht respektiert.«
»Aber wohin gehen Sie, Mr. Hugel?«
»Glauben Sie, das ist die einzige Stadt, die einen Leichenbeschauer braucht?« Der Coroner ließ den Blick über die kreuz und quer verstreuten Unterlagen schweifen. »Wie ich höre, ist in Cleveland gerade eine Position frei. Dort wird man meine Meinung zu schätzen wissen. Natürlich wird mein Gehalt dort niedriger sein, aber das spielt keine Rolle, da ich über ausreichende Ersparnisse verfüge. Niemand wird sich über meine Aufzeichnungen beklagen können, Detective. Mein Nachfolger wird ein perfekt organisiertes Archivierungssystem vorfinden – das übrigens erst von mir angelegt wurde. Haben Sie eine Ahnung, in welchem Zustand das Leichenschauhaus vor meinem Amtsantritt war?«
»Aber, Mr. Hugel …«
In diesem Augenblick tauchten Louis Riviere und Stratham Younger im Korridor auf. »Monsieur Littlemore!«, rief Riviere. »Er lebt!«
»Unglücklicherweise«, pflichtete ihm der Coroner bei. »Meine Herren, wenn Sie mich bitte entschuldigen würden. Ich habe zu tun.«
Clara Banwell nahm gerade ein kühlendes Bad, als sie hörte, wie die Eingangstür krachend ins Schloss fiel. Es war ein türkisches Bad mit blau eingelegten Mudejar-Fliesen aus Andalusien, das auf Claras besonderen Wunsch hin in Banwells Wohnung eingebaut worden war. Vom Foyer aus brüllte die Stimme ihres Mannes ihren Namen, und sie wickelte sich hastig in zwei weiße Badetücher – eins für den Körper, das andere für die Haare.
Eine Spur aus Wassertropfen hinter sich herziehend, fand sie ihren Mann in dem fünfzehn Meter langen Wohnzimmer. Mit einem Glas in der Hand stand er am Fenster und starrte auf den Hudson River. Er goss Bourbon über die Eiswürfel in seinem Glas. »Komm her.« Banwell sprach, ohne sich zu ihr umzudrehen. »Warst du bei ihr?«
»Ja.« Clara blieb in der Wohnzimmertür stehen.
»Und?«
»Die Polizei glaubt, dass sie sich die Verletzungen selbst zugefügt hat. Sie denken, dass sie entweder verrückt ist oder einen Rachefeldzug gegen dich führt.«
»Was hast du ihnen erzählt?«, fragte er.
»Dass du die ganze Nacht zu Hause warst.«
Banwell knurrte. »Und was sagt sie?«
»Nora ist sehr zerbrechlich, George. Ich glaube …«
Sie wurde unterbrochen vom Klirren einer Whiskeyflasche, die auf einen Glastisch knallte. Der Tisch hielt stand, aber aus dem Flaschenhals spritzte eine kleine Fontäne. George Banwell drehte sich zu seiner Frau um. »Komm her.«
»Ich will nicht.«
»Komm her.«
Sie gehorchte. Als sie vor ihm stand, blickte er auf sie hinunter.
»Nein.«
»Doch.«
Sie öffnete ihrem Mann den Gürtel. Während sie ihn aus den Hosenschlaufen zog, schenkte er sich noch einen Drink ein. Sie reichte ihm den schwarzen Lederriemen. Dann nahm sie die Arme mit zusammengedrückten Handflächen nach oben. Banwell legte ihr den Gürtel um die Handgelenke, fädelte ihn durch die Schnalle und zog ihn ruckartig fest. Sie fuhr zusammen.
Er riss sie an sich und versuchte, sie zu küssen. Sie wandte den Kopf hin und her, sodass er sie nur auf die Mundwinkel küssen konnte. Er vergrub den Kopf an ihrem nackten Hals. Nach einem tiefen Atemzug sagte sie wieder: »Nein.«
Er zwang sie auf die Knie. Obwohl sie mit dem Gürtel gefesselt war, konnte sie die Hände genug bewegen, um ihrem Mann die Hose aufzuknöpfen. Er zerrte ihr das weiße Handtuch vom Leib.
Später saß George Banwell auf dem Sofa und schlürfte Bourbon, während Clara nackt und mit dem Rücken zu ihm auf dem Boden kniete.
»Erzähl mir, was sie gesagt hat.« Er löste seine Krawatte.
»George …« Clara blickte zu ihm auf. »Willst du es jetzt nicht gut sein lassen? Sie ist nur ein junges Mädchen. Sie kann dir doch nichts mehr anhaben.«
Sie spürte sofort, dass ihre Worte den schwelenden Zorn ihres Mannes nicht beschwichtigt, sondern im Gegenteil noch angefacht hatten. Er stand auf und
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