Morddeutung: Roman (German Edition)
Banwell belästigt werden. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, Sir«, antwortete Littlemore.
»Elizabeth Riverford wurde vor vier Tagen ermordet, und soweit ich das sehe, haben Sie nichts weiter erreicht, als ihre verdammte Leiche zu verlieren.«
»Immerhin habe ich auch eine Leiche gefunden, Sir«, warf Littlemore vorsichtig ein.
»Ach ja, Miss Sigel, die mir inzwischen noch größere Scherereien macht als Miss Riverford. Haben Sie die Nachmittagszeitungen gesehen? Die bringen das in großer Aufmachung. Wie kann der Bürgermeister der Stadt zulassen, dass eine Tochter aus gutem Haus im Schrankkoffer eines Chinesen landet? Als ob ich persönlich dafür verantwortlich wäre! Vergessen Sie George Banwell, Detective. Finden Sie lieber diesen William Leon.«
»Mr. Mayor, bei allem Respekt«, sagte Littlemore, »ich bin überzeugt, dass es eine Verbindung zwischen den Fällen Riverford und Sigel gibt. Und meiner Meinung nach ist Mr. Banwell in beide Fälle verwickelt.«
McClellan verschränkte die Arme. »Sie glauben also, dass dieser Leon nicht der Mörder von Miss Sigel ist?«
»Ich halte es für möglich, Sir.«
Der Bürgermeister holte tief Luft. »Mr. Littlemore, Ihr Mr. Chong – der Mann, den Sie verhaftet haben – hat vor einer Stunde gestanden. Sein Cousin Leon hat Miss Sigel vor einem Monat in einem Anfall von Eifersucht getötet, nachdem er sie mit einem anderen Chinesen gesehen hatte. Die Polizei war in der Wohnung dieses anderen Mannes und hat weitere Briefe von Miss Sigel gefunden. Leon hat sie erwürgt. Chong war Zeuge. Er hat sogar mitgeholfen, sie in Leons Schrankkoffer zu verstauen. In Ordnung? Sind Sie jetzt zufrieden?«
»Ich bin mir nicht sicher, Sir.«
»Dann sorgen Sie für Sicherheit. Ich will Antworten. Wo ist Leon? Wurde Miss Acton letzte Nacht überfallen oder nicht? Wurde sie überhaupt schon einmal überfallen? Muss ich denn alles selber machen? Und noch was, Detective. Wenn Sie oder irgendjemand sonst noch mal in meinem Büro aufkreuzen und mir diesen Stuss vorquasseln, dass Elizabeth Riverford von dem einzigen Mann ermordet wurde, von dem ich ganz genau weiß, dass er es nicht gewesen sein kann, dann schmeiße ich euch alle raus. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Ja, Sir. Danke, Mr. Mayor«, erwiderte der Detective.
Damit waren wir zum Glück entlassen. Draußen auf dem Gang sagte ich: »Wenigstens steht der Bürgermeister voll hinter uns.«
» Ich habe Miss Riverfords Leiche nicht verloren«, schimpfte Littlemore mit einem für ihn völlig untypischen Groll. »Was ist eigentlich los mit denen? Ich habe eine Krawattennadel, den Lehm, einen ungeklärten Todesfall im Haus dieses Kerls, er entspricht der Beschreibung des Coroners, er macht sich in die Hose, als er Miss Acton sieht, sie sagt, dass er sie überfallen hat – und wir können nicht mal da runterfahren und nachschauen, warum der Schuttschacht von diesem Kerl nicht mehr richtig funktioniert?«
Ich wies ihn darauf hin, dass Banwell nicht der Mörder von Elizabeth Riverford sein konnte, wenn er in der fraglichen Nacht nicht in der Stadt gewesen war.
»Ja, aber vielleicht hat er einen Komplizen«, antwortete Littlemore. »Kennen Sie sich mit den Bends aus, Doc?«
»Ja, warum?«
»Weil ich weiß, was ich tun werde.« Littlemores Hinken war noch schlimmer geworden. »Aber allein schaffe ich das nicht. Können Sie mir helfen?«
Als mich der Detective in seine Absichten eingeweiht hatte, hielt ich das zuerst für den albernsten Plan, den ich je gehört hatte. Doch nach einiger Überlegung änderte ich meine Meinung.
Nora Acton stand auf dem Dach ihres Hauses. Eine Brise bewegte den feinen Flaum, der ihr in die Stirn hing. Sie konnte den gesamten Gramercy Park sehen und auch die Bank, auf der sie vor einigen Stunden mit Dr. Younger gesessen hatte. Sie bezweifelte, dass sie jemals wieder dort mit ihm sitzen würde.
Im Haus war es für sie unerträglich. Ihr Vater hatte sich in seinem Studierzimmer eingeschlossen. Nora konnte sich gut vorstellen, was er dort machte. Arbeit war es jedenfalls nicht; ihr Vater hatte keine Arbeit. Vor mehreren Jahren schon hatte sie die geheimen Bücher ihres Vaters entdeckt. Widerliche Bücher. Unten hatten wieder zwei Streifenpolizisten vor der Eingangs- und Hintertür Posten bezogen. Am Morgen hatten sie das Haus verlassen, doch jetzt waren sie wieder da.
Nora fragte sich, ob sie sterben würde, wenn sie vom Dach sprang. Wahrscheinlich nicht. Sie ging zurück ins Haus und hinunter
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