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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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knöpfte sich die Hose zu. »Nur ein junges Mädchen«, wiederholte er.

     
    Anscheinend hatte der Franzose eine Schwäche für Detective Littlemore. Er küsste ihn auf beide Wangen.
    »Ich glaube, ich muss öfter den Toten spielen.« Littlemore lächelte. »So nett waren Sie noch nie zu mir, Louis.«
    Riviere drückte dem Detective eine große Mappe in die Hand. »Alles wunderbar geworden«, erklärte er. »War sogar für mich selbst eine Überraschung. Solche Details hätte ich von einer Vergrößerung gar nicht erwartet. Sehr ungewöhnlich.« Damit zog sich der Franzose zurück, nachdem er darauf bestanden hatte, dass es Au revoir hieß, und nicht Adieu .
    Jetzt war ich mit dem Detective allein. »Sie … haben sich tot gestellt?«
    »Nur ein kleiner Scherz. Als ich zu mir gekommen bin, war ich in einem Unfallwagen, und da hatte ich die Idee, dass es vielleicht witzig sein könnte.«
    Ich überlegte. »Und – war es witzig?«
    Littlemore schaute sich um. »Ziemlich. Sagen Sie, was machen Sie eigentlich hier?«
    Ich teilte dem Detective mit, dass ich eine Entdeckung gemacht hatte, die für Miss Actons Fall vielleicht wichtig war. Doch plötzlich wusste ich nicht so recht, wie ich mich ausdrücken sollte. Nora hatte eine Form von Bilokation erlebt – ein Phänomen, bei dem man an zwei Orten zugleich zu sein scheint. Aus meiner Zeit in Harvard erinnerte ich mich noch dunkel an Bilokation in Zusammenhang mit den ersten Experimenten mit den neuen Anästhesiemitteln, die in der Folgezeit die Chirurgie so stark verändern sollten. Meine Nachforschungen hatten meinen Verdacht bestätigt. Ich war inzwischen fest davon überzeugt, dass Nora in der Nacht des Überfalls mit Chloroform betäubt worden war. Bis zum Morgen konnten sich alle Dämpfe verflüchtigt haben und auch die Nebenwirkungen weitgehend abgeklungen sein.
    Das Problem war nur, dass Nora Detective Littlemore nichts über die seltsame Perspektive berichtet hatte, aus der sie das Geschehen beobachtet hatte. Sie hatte Angst gehabt, dass er ihr keinen Glauben schenken würde. Ich beschloss, die Sache offen anzusprechen. »Detective, es gibt etwas, was Ihnen Miss Acton über den Überfall von gestern Nacht nicht erzählt hat. Sie hat ihn gesehen – das heißt, sie hat alles erlebt und beobachtet -, als wäre sie außerhalb ihres eigenen Körpers.« Als ich meine nüchternen Worte hörte, fiel mir auf, dass ich wohl die am wenigsten zugängliche und überzeugende Erklärung gewählt hatte. Und der Gesichtsausdruck des Detectives trug auch nicht unbedingt dazu bei, diesen Eindruck zu zerstreuen. Daher fügte ich hinzu: »Als würde sie über ihrem eigenen Bett schweben.«
    »Über ihrem eigenen Bett schweben?«
    »Genau.«
    »Chloroform!«, rief Littlemore.
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Woher um alles in der Welt wissen Sie das?«
    »H.G. Wells. Mein Lieblingsautor. In einer Erzählung von ihm passiert genau das Gleiche mit einem Mann, der operiert wird, nachdem sie ihn mit Chloroform betäubt haben.«
    »Und ich habe deswegen gerade einen ganzen Nachmittag in einer Bibliothek verschwendet.«
    »Nein, das war keine Verschwendung«, widersprach der Detective. »Können Sie es belegen – wissenschaftlich, meine ich? Diese Chloroform-Schwebegeschichte?«
    »Ja, warum?«
    »Hören Sie, lassen Sie uns das mal eine Sekunde zurückstellen, okay? Ich muss hier noch was überprüfen. Haben Sie einen Moment Zeit, mich zu begleiten?« Stark hinkend steuerte Littlemore auf die Treppe zu. Er blickte über die Schulter und setzte erklärend hinzu: »Hugel hat dort unten ein paar wirklich gute Mikroskope.«
    Unten im Keller betraten wir ein kleines forensisches Labor mit vier Marmorplatten und einer exzellenten medizinischen Ausrüstung. Der Detective zog drei kleine Umschläge aus der Tasche, die alle ein paar Krumen rötlicher Erde enthielten. Eine der Proben, erläuterte er, stammte aus Elizabeth Riverfords Apartment, eine aus dem Keller des Balmoral und die dritte von einem Pier an der Manhattan Bridge, der zu George Banwells Baustelle gehörte. Diese drei Proben presste er nun auf drei verschiedene Glasscheiben, die er dann jeweils unter ein Mikroskop legte. Rasch bewegte er sich von einem zum anderen. »Sie stimmen überein. Alle drei. Ich hab es gewusst.«
    Dann öffnete er Rivieres Mappe. Die Fotografie, die darin sichtbar wurde, zeigte den Hals einer Frau mit einem körnigen, dunklen, runden Fleck darauf. Wenn ich den Detective richtig verstanden hatte –

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