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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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in die Küche. Sie wühlte in einer tiefen Schublade, bis sie eines von Mrs. Biggs’ Tranchiermessern gefunden hatte. Sie nahm es mit nach oben und legte es unter ihr Kissen.
    Was sollte sie tun? Die Wahrheit konnte sie niemandem sagen, aber sie konnte auch nicht mehr lügen. Niemand würde ihr glauben. Schon jetzt glaubte ihr niemand mehr.
    Nora hatte nicht vor, das Küchenmesser gegen sich selbst zu richten. Sie wollte nicht sterben. Aber sie konnte wenigstens versuchen, sich zu wehren, wenn er wiederkam.

TEIL 5
     

KAPITEL EINUNDZWANZIG
     
    Littlemore bearbeitete das Schloss, während ich hinter ihm stand. Es war wahrscheinlich gegen zwei Uhr morgens. Ich hatte zwar die Aufgabe, aufzupassen, aber in der Dunkelheit konnte ich ohnehin nichts sehen. Und auch hören konnte ich nichts in dem mechanischen Dröhnen, das jedes andere Geräusch übertönte. Daher begnügte ich mich damit, zum Sternenzelt über uns aufzublicken.
    In weniger als einer Minute hatte er das Schloss geknackt. Die Aufzugskabine war unerwartet groß. Littlemore zog die Tür zu, und der schwach beleuchtete Raum umfing uns. Zwei Gasflammen gaben zumindest so viel Licht, dass Littlemore den Schalthebel einstellen konnte. Mit einem Ruck begannen der Detective und ich die Fahrt hinab in den Senkkasten.
    »Alles in Ordnung bei Ihnen?«, fragte mich Littlemore. Eine der zwei blauen Flammen spiegelte sich in seinen Augen und die andere wohl in meinen. Sonst war nichts zu erkennen. Die wummernden Maschinen über uns hielten einen gleichmäßig tiefen Rhythmus, als hätten wir eine Reise durch die Aorta eines gigantischen Blutkreislaufs angetreten. »Es ist noch nicht zu spät. Wir könnten wieder umkehren.«
    »Sie haben recht«, bemerkte ich aus einer Laune heraus. »Fahren wir zurück.«
    Plötzlich kam der Aufzug zum Stehen. »Ist das Ihr Ernst?«, fragte Littlemore.
    »Nein, nur ein Witz. Kommen Sie schon, fahren wir runter.«
    »Danke.«
    Dieser Littlemore erinnerte mich an jemanden, aber ich wusste nicht, an wen. Dann fiel es mir plötzlich ein: In meiner Kindheit fuhren wir mit meinen Eltern jeden Sommer aufs Land – nicht in Aunt Mamies »Hütte« in Newport, sondern in unsere eigene, echte Hütte in der Nähe von Springfield, die nicht mal fließendes Wasser hatte. Ich liebte dieses kleine Häuschen. Mein bester Freund dort war Tommy Nolan, der das ganze Jahr über auf einer nahe gelegenen Farm lebte. Tommy und ich wanderten oft kilometerweit an den Holzzäunen entlang, die die Bauernhöfe voneinander trennten. Es war das erste Mal seit Langem, dass ich an Tommy dachte.
    »Was der Bürgermeister wohl machen wird, wenn er das herausfindet?«
    »Er wird mich rausschmeißen«, antwortete Littlemore. »Spüren Sie das in den Ohren? Halten Sie sich die Nase zu, und blasen Sie. So bekommen Sie sie frei. Hat mir mein Dad beigebracht.«
    Ich verließ mich auf einen anderen Trick. Zu meinen vielen nutzlosen Talenten gehört die Fähigkeit, die inneren Ohrmuskeln zur Öffnung der eustachischen Röhren willentlich zu steuern. Das Tempo des Aufzugs war quälend langsam. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns kaum bewegten. »Wie lang dauert es, bis wir unten sind?«
    »Fünf Minuten, hat mir der Aufzugführer gesagt«, erwiderte der Detective. »Dad konnte über zwei Minuten unter Wasser bleiben.«
    »Sie sind wohl gut mit ihm ausgekommen?«
    »Mit Dad? Immer noch. Der beste Mann, den ich kenne.«
    »Und Ihre Mutter?«
    »Die beste Frau. Ich würde alles für sie tun. Mann, ich hab mir immer gewünscht, dass ich mal ein Mädel finde wie meine Mom. Die würde ich vom Fleck weg heiraten.«
    »Merkwürdig, dass Sie das sagen.«
    »Und dann hab ich Betty getroffen«, fuhr Littlemore fort. »Sie war Miss Riverfords Dienstmädchen. Ich hab sie gesehen – wann war das, vor drei Tagen? – und war sofort verrückt nach ihr. So was von verrückt. Dabei ist sie überhaupt nicht wie Mom. Italienerin. Ziemlich heißblütig, schätze ich. Gestern Abend hat sie mir eine gelangt, das spüre ich immer noch.«
    »Sie hat Sie geschlagen?«
    »Ja. Sie hat gemeint, dass ich mich mit anderen abgebe«, erklärte der Detective. »Drei Tage, und ich darf mich schon nicht mehr mit anderen abgeben. Das macht ihr so schnell keine nach.«
    »Vielleicht doch. Miss Acton hat mir gestern eine kochend heiße Teekanne übergezogen.«
    »Autsch«, entfuhr es Littlemore. »Hab die Untertasse auf dem Boden gesehen.«
    In der Kabine entstand allmählich ein pfeifendes Geräusch, da der Aufzug

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