Morddeutung: Roman (German Edition)
fünfundsechzig groß und zweiundfünfzig Kilo schwer. Aber die Lampe an der Decke, an die sie gefesselt war, hätte ein zweiundfünfzig Kilo schweres Mädchen nie gehalten. Sie wäre einfach rausgebrochen. Ich hab es selbst ausprobiert.«
»Vielleicht habe ich mich bei der Größe und beim Gewicht leicht geirrt«, bemerkte Hugel. »Ich war in letzter Zeit stark unter Druck.«
»Sie haben sich nicht geirrt, Mr. Hugel«, meinte Littlemore. »Sie haben es absichtlich gemacht. Sie haben auch nicht erwähnt, dass Miss Riverfords Haar nicht schwarz war.«
»Selbstverständlich war es schwarz«, protestierte Hugel. »Das kann jeder im Balmoral bezeugen.«
»Das war nur eine Perücke. Wir haben sie in Banwells Schrankkoffer gefunden.«
Hugel wandte sich an den Bürgermeister. »Er hat den Verstand verloren. Oder irgendjemand bezahlt ihn dafür, dass er diesen Unsinn erzählt. Warum sollte ich Miss Riverfords äußere Erscheinung mutwillig falsch darstellen?«
McClellan gab die Frage an Littlemore weiter. »Warum, Littlemore?«
»Wenn er allen Leuten erzählt hätte, dass Elizabeth Riverford eins achtundfünfzig groß und siebenundvierzig Kilo leicht war und lange blonde Haare hatte, dann hätte es vielleicht für Kopfschütteln gesorgt, dass die eins achtundfünfzig große und siebenundvierzig Kilo leichte, blonde, langhaarige Miss Nora Acton am nächsten Tag – derselbe Tag übrigens, an dem Miss Riverfords Leiche verschwunden ist – mit genau den gleichen Verletzungen aufgetaucht ist, nicht wahr, Mr. Hugel?«
Sobald Clara das Hotelzimmer betreten hatte, lag Nora in ihren Armen.
»Mein Liebling«, beruhigte sie Clara. »Gott sei Dank geht es dir gut. Ich bin so froh, dass du mich angerufen hast.«
»Ich werde ihnen alles sagen«, rief Nora. »Ich hab versucht, es geheim zu halten, aber ich kann nicht mehr.«
»Ich weiß. Das hast du ja schon in deinem Brief geschrieben. Sag ihnen ruhig alles.«
»Nein.« Nora war den Tränen nahe. »Ich meine wirklich alles.«
»Ich verstehe. Ist schon gut.«
»Er hat mir nicht mal geglaubt, dass ich verletzt worden bin. Dr. Younger, meine ich. Er hat gedacht, dass ich mir die Wunden aufgemalt habe.«
»Wie furchtbar.«
»Ich hab es nicht anders verdient, Clara. Alles ist schiefgelaufen. Mir geht es so schlecht. Es war alles umsonst. Es wäre besser, wenn ich tot wäre.«
»Schon gut. Ich glaube, wir beide brauchen jetzt was, um unsere Nerven zu beruhigen.« Clara ging zu einer Anrichte, auf der eine halb volle Karaffe und mehrere Gläser standen. »Hier. Oh, der Brandy riecht schrecklich. Ich werde uns trotzdem ein Schlückchen einschenken. Wir können ja gemeinsam trinken.«
Sie reichte Nora ein Kognakglas, in dessen Rundung eine goldene Flüssigkeit schwebte. Nora hatte noch nie Brandy getrunken. Clara half ihr beim Probieren und, nachdem das brennende Gefühl vom Anfang vergangen war, beim Austrinken. Ein Tropfen landete auf Noras Kleid.
»Oje«, sagte Clara. »Ist das mein Kleid, das du da anhast?«
»Ja. Tut mir leid. Ich bin heute nach Tarry Town gefahren. Ich hoffe, es macht dir nichts aus.«
»Natürlich nicht. Es steht dir so gut. Meine Sachen passen dir immer.« Clara schenkte noch einen Fingerbreit in das Glas und nahm mit geschlossenen Augen einen kleinen Schluck. Dann hielt sie das Glas an Noras Lippen. »Weißt du eigentlich, dass ich an dich gedacht habe, als ich dieses Kleid gekauft habe? Diese Schuhe passen dazu – die, die ich gerade anhabe. Hier, probier sie mal an. Du hast so schlanke Knöchel. Vergessen wir das Ganze erst mal und ziehen dich an, so wie früher.«
»Wenn du meinst.« Nora versuchte zu lächeln.
»Sie meinen, Elizabeth Riverford war Nora Acton?« Bürgermeister McClellan starrte Detective Littlemore fassungslos an.
»Ich kann es beweisen, Sir.« Littlemore winkte Betty herbei und zog eine Fotografie aus der Tasche. »Mr. Mayor, Betty war Miss Riverfords Dienstmädchen im Balmoral. Diese Aufnahme hier habe ich in Leon Lings Apartment gefunden. Betty, sag diesen Herrschaften, wer die Frau auf dem Bild ist.«
»Das links ist Miss Riverford«, erklärte Betty. »Die Haare sind anders, aber sie ist es.«
»Mr. Acton, würden Sie jetzt bitte einen Blick auf die Fotografie werfen?« Littlemore reichte Harcourt Acton das Bild, das seine Tochter zusammen mit William Leon und Clara Banwell zeigte.
»Das ist Nora«, bestätigte Acton.
McClellan schüttelte nur noch den Kopf. »Nora Acton hat unter dem Namen Elizabeth
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