Morddeutung: Roman (German Edition)
Riverford im Balmoral gewohnt? Warum?«
»Sie hat ja gar nicht dort gewohnt«, knurrte Banwell. »Sie wollte nur ein paar Abende pro Woche vorbeikommen, das ist alles. Was schaust du mich so an? Schau lieber Acton an!«
»Sie haben es gewusst?« McClellan blickte Mr. Acton ungläubig an.
»Natürlich nicht«, antwortete Mrs. Acton anstelle ihres Mannes. »Das muss sich Nora allein ausgedacht haben.«
Harcourt Acton blieb stumm.
»Wenn er nichts davon gewusst hat, dann ist er ein verdammter Narr«, tönte Banwell. »Aber ich hab sie nicht angerührt. Es war sowieso alles Claras Idee.«
»Clara hat es auch gewusst?« Der Bürgermeister kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
»Gewusst? Sie hat das Ganze doch arrangiert!« Banwell verstummte kurz. Dann fuhr er fort. »Und jetzt lasst mich endlich frei. Ich habe kein Verbrechen begangen.«
Detective Littlemore war anderer Meinung. »Außer dass Sie mich gestern überfahren haben, mehrere Polizeibeamte bestechen wollten, beinahe Miss Acton getötet haben und Seamus Malley ermordet haben. Ich würde sagen, Sie waren ganz schön beschäftigt diese Woche, Mr. Banwell.«
Als er Malleys Namen hörte, versuchte Banwell trotz der Handschellen, die ihn ans Geländer banden, auf die Beine zu kommen. Im allgemeinen Aufruhr fuhr Hugel herum und stürzte zur Tür. Beide Männer scheiterten mit ihren Vorhaben. Banwell verletzte sich an den Handgelenken. Und der Coroner wurde von Officer Reardon abgefangen.
»Aber warum das alles, Hugel?«, fragte der Bürgermeister.
Der Coroner blieb die Antwort schuldig.
»Mein Gott«, fuhr McClellan fort. »Sie haben die ganze Zeit gewusst, dass Elizabeth Riverford Nora war. Haben Sie sie etwa auch ausgepeitscht?«
»Nein, natürlich nicht.« Hugel hing wie ein Häufchen Elend in Reardons Griff. »Ich habe niemanden ausgepeitscht. Ich wollte nur helfen. Ich sollte dafür sorgen, dass er verurteilt wird. Sie hat es mir versprochen. Ich würde doch nie … sie hat alles geplant … sie hat mir genau gesagt, was ich tun soll … sie hat mir versprochen …«
»Nora?«, rief der Bürgermeister. »Was um Himmels willen hat sie Ihnen versprochen?«
»Doch nicht Nora.« Hugels Kopf zuckte in Banwells Richtung. »Seine Frau.«
Nora Acton schlüpfte aus ihren Schuhen und probierte die von Clara an. Die Absätze waren hoch und spitz, doch die Schuhe waren aus einem angenehm weichen schwarzen Leder gemacht. Als sie aufblickte, bemerkte sie in Claras Hand einen völlig unerwarteten Gegenstand: einen kleinen Revolver mit Perlmuttgriff.
»Es ist so heiß hier drin, meine Liebe«, bemerkte Clara. »Gehen wir doch raus auf den Balkon.«
»Warum richtest du eine Waffe auf mich, Clara?«
»Weil ich dich hasse, mein Schatz. Du hast dich mit meinem Mann abgegeben.«
»Das ist nicht wahr«, protestierte Nora.
»Aber er wollte es. Ganz verzweifelt war er. Das ist das Gleiche – nein, es ist noch schlimmer.«
»Aber du hasst doch George.«
»Tatsächlich? Wahrscheinlich schon. Ich hasse euch eben beide gleich stark.«
»O nein, sag so was nicht. Da würde ich lieber sterben.«
»Na dann.«
»Aber, Clara, du hast mich doch dazu überredet …«
»Ja, ich hab dich überredet«, unterbrach sie Clara, »und jetzt werde ich dich überraschen. Versetz dich doch mal in meine Lage, Liebling. Wie kann ich zulassen, dass du der Polizei erzählst, was du weißt? Ich stehe so kurz vor dem Erfolg. Nur du bist mir noch im Weg. Los, meine Liebe. Auf den Balkon, geh schon. Du willst doch nicht, dass ich dich erschieße.«
Nora erhob sich. Sie schwankte. Claras Pfennigabsätze waren viel zu hoch für sie. Sie konnte kaum gehen. Unterwegs zu den offenen Glastüren vor dem Balkon stützte sie sich nacheinander auf die Sofalehne, auf einen Sessel und dann auf einen Tisch.
»So ist es gut«, befahl Clara. »Nur noch ein kleines Stück.«
Nora machte einen Schritt auf den Balkon hinaus und stolperte. Sie fing sich am Geländer und stand auf, das Gesicht hinaus zur Stadt gewandt. Zehn Stockwerke über dem Boden blies ein starker Wind. Nora spürte die kühle Brise auf Stirn und Wangen. »Du hast mich in diese Schuhe gesteckt, damit du mich leichter über die Brüstung stoßen kannst, stimmt’s?«
»Nein«, widersprach Clara. »Damit es wie ein Unfall aussieht. Du bist nicht an hohe Absätze gewöhnt. Du bist nicht an den Brandy gewöhnt, den sie an deinem Kleid riechen werden. Ein schrecklicher Unfall. Ich will dich nicht stoßen, mein Schatz. Möchtest du
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