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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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auf. Eilig und einigermaßen gereizt warf ich mich in die Abendgarderobe. Auch unter normalen Umständen hätte mich die Aussicht auf einen Ball missmutig gestimmt, doch deswegen ein Dinner mit Freud zu verpassen verdarb mir richtiggehend die Laune.

     
    Die New Yorker Gesellschaft in der wirtschaftlichen Blütezeit vor dem Ersten Weltkrieg war im Grunde durch zwei äußerst reiche Frauen, Mrs. William B. Astor und Mrs. William K. Vanderbilt, und vor allem durch den monumentalen Konflikt zwischen den beiden in den 1880er-Jahren geprägt.
    Mrs. Astor, geboren Schermerhorn, war von hoher Geburt; Mrs. Vanderbilt, geboren Smith, dagegen nicht. Die Astors konnten ihren Reichtum und ihre Abstammung bis zur holländischen Aristokratie im New York des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen. Sicherlich ist der Begriff Aristokratie in diesem Zusammenhang ein wenig übertrieben, da die niederländischen Pelzhändler der Neuen Welt in der Alten nicht gerade von fürstlichem Geblüt waren. Europäische Damen und Herren hatten vielleicht nicht ihren Tocqueville gelesen, aber sie erkannten den wesentlichen Unterschied zwischen den Vereinigten Staaten und Europa übereinstimmend darin, dass es Amerika zu seinem großen Unglück an einer Aristokratie fehlte. Gleichwohl wurden am Ende des 19. Jahrhunderts die märchenhaft reichen Astors am britischen Hof empfangen und konnten schon bald darauf ihren aristokratischen Anspruch mit englischen Adelstiteln untermauern, die weit wertvoller waren als holländische, wenn diese überhaupt existiert hätten.
    Im Vergleich dazu war ein Vanderbilt ein Niemand. Cornelius »Commodore« Vanderbilt war lediglich der reichste Mann Amerikas und sogar der reichste Mann der Welt. Mit einem Vermögen von einer Million Dollar war man Mitte des 19. Jahrhunderts äußerst wohlhabend. In seinem Todesjahr 1877 besaß Cornelius Vanderbilt ein Vermögen von hundert Millionen Dollar, und ein Jahrzehnt später verfügte sein Sohn bereits über das Doppelte. Aber der Commodore war immer noch ein ordinärer Dampfer- und Eisenbahnmagnat, der sich seinen Reichtum durch Fleiß erarbeitet hatte. Mrs. Astor hätte sich nie dazu herabgelassen, ihn oder seine Verwandten zu besuchen.
    Vor allem jedoch wollte Mrs. Astor keinen Fuß in das Haus der jungen Mrs. William K. Vanderbilt setzen, die mit dem Enkel des Commodore verheiratet war. Nicht einmal ihre Karte hinterließ sie. Und auf diese Weise stand von vornherein fest, dass die Vanderbilts in den besten Häusern Manhattans nicht empfangen wurden. Mrs. Astor verkündete, dass in ganz New York nur vierhundert Männer und Frauen würdig waren, einen Ballsaal zu betreten – zufälligerweise war dies genau die Anzahl von Gästen, die bequem in Mrs. Astors eigenen Ballsaal passten. Die Vanderbilts gehörten selbstverständlich nicht dazu.
    Mrs. Vanderbilt war nicht nachtragend, aber sie war intelligent und eigensinnig. Wenn es darum ging, den Bann der Astors zu brechen, durfte an nichts gespart werden. Ihre erste Maßnahme, die sie mit der großzügigen Unterstützung ihres Gatten ins Werk setzte, bestand darin, sich eine Einladung zum Patriarch’s Ball zu beschaffen, einem bedeutsamen Ereignis im Gesellschaftskalender von New York, dem die einflussreichsten Bürger der Stadt beiwohnten. Doch daraus ergab sich immer noch kein Zugang zum exklusiven Zirkel von Mrs. Astor.
    Ihr zweiter Schritt war, dass sie sich von ihrem Mann ein neues Haus bauen ließ. Es sollte an der Ecke Fifth Avenue und Fifty-second Street stehen und alle anderen Häuser in New York in den Schatten stellen. So entstand nach Plänen von Richard Morris Hunt – der damals nicht nur der berühmteste Architekt Amerikas war, sondern auch ein willkommener Gast bei den Astors – an der 660 Fifth Avenue ein französisches Kalksteinschloss im Stil des Loire-Tals. Das steinerne Eingangsfoyer war zwanzig Meter lang, mit einer gewölbten Decke in doppelter Stockwerkhöhe. Zu den siebenunddreißig Zimmern gehörten ein großzügiger, von Buntglasfenstern erleuchteter Speisesaal, eine Turnhalle für die Kinder im zweiten und dritten Stock und ein Ballsaal, der achthundert Gästen Platz bot. Im ganzen Gebäude waren Rembrandts, Gainsboroughs, Reynolds, dazu Gobelinteppiche und Möbel aus dem ehemaligen Besitz von Marie Antoinette verteilt.
    Kurz vor der Fertigstellung 1883 kündigte Mrs. Vanderbilt eine Einweihungsfeier an, für die sie insgesamt 250.000 Dollar ausgeben sollte. Der bei Weitem klügste Einsatz ihres

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