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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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denken.«
    »Belva.«
    »Und da drüben, das sind die Condé Nasts. Der Directoire-Hut steht ihr gut, findest du nicht? Ihre Gardenien finde ich auch schön, aber bei den Straußenfedern bin ich mir nicht so sicher. Die Leute könnten sich vielleicht veranlasst sehen, den Kopf in den Sand zu stecken, wenn sie vorbeirauscht.«
    »Bei Fuß, Belva.«
    »Ist dir eigentlich klar, dass uns gerade tausend Leute beobachten?« Belva war deutlich anzumerken, dass sie dieses Interesse in vollen Zügen genoss. »So was habt ihr in Boston bestimmt nicht, da wette ich.«
    »Boston lebt leider völlig hinter dem Mond.«
    »Die da drüben, mit dem Haufen von Juwelen im Haar, das ist die Baroness von Haefton, die zu ihrem Ball letzten Winter statt meiner den Marquis de Charette eingeladen hat. Das da sind die John Jacob Astors – es heißt, dass man ihn ständig mit Maddie Forge sieht, die keinen Tag älter als sechzehn ist. Und da sind unsere Gastgeber, die Stuyvesant Fishes.«
    »Fish.«
    »Wie?«
    »Die Mehrzahl von Stuyvesant Fish«, erklärte ich, »ist Stuyvesant Fish.« Ich hatte nur sehr selten Gelegenheit, Belva in einem Detail der New Yorker Etikette zu korrigieren.
    »Das glaube ich keine Sekunde«, protestierte sie. »Außerdem sieht Mrs. Fish heute Abend wirklich ziemlich nach Mehrzahl aus.«
    »Kein Wort gegen meine Tante, Belva.« Meine Kusine Belva war fast auf den Tag genauso alt wie ich, und ich kannte sie seit unserer Kinderzeit. Das dürre, unansehnliche Geschöpf hatte schon vor fast zehn Jahren debütiert, ohne dass jemand angebissen hatte. Mit siebenundzwanzig war sie wohl schon einigermaßen verzweifelt, und die Welt drohte sie als alte Jungfer abzuschreiben. »Wenigstens«, setzte ich erleichtert hinzu, »hat Aunt Mamie ihren Hund nicht mitgebracht.«
    Aunt Mamie hatte einmal in Newport einen Ball für einen neuen französischen Pudel gegeben, der bei seinem Auftritt mit einem diamantbesetzten Halsband über den roten Teppich getrippelt kam.
    »Aber schau, sie hat ihren Hund ja doch mitgebracht«, widersprach Belva vergnügt, »und er trägt auch noch das Diamanthalsband.« Belva deutete auf Marion Fish, Aunt Mamies jüngste Tochter, zu deren umwerfendem Debüt Belva nicht eingeladen worden war.
    »Also dann, liebe Kusine. Ich lass dich jetzt allein.« Am Ende des Korridors angelangt, löste ich mich von Belva – oder eigentlich war es so, dass mich Aunt Mamie loseiste und mich mit Miss Hyde zusammenbrachte, die offenkundig reich war, sonst aber kaum Reize zu bieten hatte. Ich tanzte noch mit verschiedenen anderen Misses, unter anderem der groß gewachsenen, gymnastischen Eleanor Sears, die sehr liebenswürdig war, aber mich ständig dazu zwang, ihrem sombreroartigen Hut auszuweichen. Und natürlich gab ich auch der armen Belva die Ehre.
    Nach dem unumgänglichen Austerncocktail konnten die Gäste gemäß der golden umrahmten Speisekarte folgende Gerichte genießen: ein Buffet russe, Berglammbraten mit Kastanienpüree und Spargel, Champagnersorbet, Diamondback-Schildkröte aus Maryland und Schwarzkopfruderente mit Orangensalat. Dies war allerdings nur das erste von zwei Abendessen, das zweite sollte nach Mitternacht serviert werden. Nach dieser letzten Stärkung war der Kotillon geplant, der so gegen halb zwei wahrscheinlich mit einem Spiegeltanz eröffnet wurde, wenn ich Aunt Mamie richtig einschätzte.
    Eigentlich hatte ich nichts gegen einen gelegentlichen Ball in New York. In Boston war ich gesellschaftlichen Anlässen deshalb ferngeblieben, weil ich mich dort dem Getuschel und den Seitenblicken nach dem Tod meines Vaters ausgesetzt fühlte. Zwischen der Bostoner und der New Yorker Gesellschaft gab es einen großen Unterschied: Während es in Boston darauf ankam, alles so zu machen wie immer, ging es in New York darum, alles anders zu machen als je zuvor. Doch das schiere Spektakel einer New Yorker Feierlichkeit – an dem man natürlich teilzunehmen hatte – war etwas, woran sich mein Bostoner Blut nie so recht gewöhnen konnte. Vor allem die Debütantinnen, die zwar viel zahlreicher waren als ihre Pendants in Boston und weit besser aussahen, waren für meinen Geschmack einfach zu sehr herausgeputzt. Sie trugen ein blitzendes Gewirr von Diamanten und Perlen – an den Korsagen, um den Hals, an den Ohren, um die Schultern, ins Haar geflochten -, und obwohl all diese Schmuckstücke zweifellos echt waren, hatte ich immer das Gefühl, auf Kleister zu blicken.
    »Da bist du ja, Stratham!«, rief Aunt

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