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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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ins Kartenzimmer und dankte Becker erneut. »Sag mal, Beck, kannst du mir vielleicht noch einen Gefallen tun?«
    »Alles, was du willst, Kleiner«, erwiderte Becker.
    »Da ist eine Dame mit Baby drin. Können wir die vielleicht rauslassen?«
    Becker drückte seine Zigarette aus. Sein Tonfall blieb ungezwungen, aber das fröhliche Gelärme seiner Kumpane war plötzlich verstummt. »Eine Dame?«
    Littlemore war klar, dass da was nicht stimmte, aber er wusste nicht, was es war.
    »Er meint Susie, Boss«, erklärte Gyp, der eigentlich Horowitz hieß.
    »Susie? Susie Merrill sitzt doch nicht in meinem Knast, oder, Whitey?«
    »Doch, sie ist da«, antwortete Whitey, dessen bürgerlicher Name Seidenschner war.
    »Hast du was mit Susie, Jimmy?«
    »Nein, Beck. Ich dachte nur, weil sie ein Baby hat und so …«
    »Aha«, machte Becker.
    »Vergiss, dass ich es erwähnt habe. Ich meine, wenn sie …«
    Becker brüllte den Wachen zu, Susie sofort freizulassen. Dieses Kommando garnierte er mit mehreren auserlesenen Verwünschungen, die seine Wut darüber zum Ausdruck brachten, dass man in seinem Gefängnis ein Baby festgehalten hatte. Mit lauter Stimme ordnete er an, in Zukunft alle »Babes«, die hier im Knast landeten, sofort zu ihm zu bringen. Für diese Bemerkung erntete er von seinem Trupp johlendes Gelächter. Littlemore hielt es für das Beste, rasch mit Betty zu verschwinden. Er bedankte sich ein drittes Mal bei Becker – der diesmal keine Reaktion zeigte – und führte Betty hinaus.
    Die Tenth Street war nahezu verlassen. Von Westen her wehte eine leichte Brise. Auf der Gefängnistreppe blieb Betty im Schatten des gewaltigen viktorianischen Baus stehen. »Kennst du diese Frau? Die mit dem Kind?«
    »Sozusagen.«
    »Aber Jimmy, sie ist … sie ist eine Madame.«
    »Ich weiß.« Littlemore grinste. »War schon mal bei ihr.«
    Betty versetzte dem Detective eine klatschende Ohrfeige.
    »Au! Ich war doch nur dort, um ihr ein paar Fragen wegen des Riverford-Mords zu stellen.«
    »O Jimmy, warum hast du das nicht gleich gesagt?« Sie schlug die Hände vor den Mund. Dann berührte sie lächelnd sein Gesicht. »Tut mir leid.«
    Sie umarmten sich. Sie hielten sich noch immer umschlungen, als sich das schwere Eichentor des Gefängnisses öffnete und ein Lichtstrahl auf sie fiel. In der Tür stand Susan Merrill, beladen mit dem Baby und einem ihrer überdimensionierten Hüte. Littlemore half ihr die Treppe hinunter. Betty bot an, das Baby zu halten, das ihr die ältere Frau bereitwillig reichte.
    »Sie haben also dafür gesorgt, dass ich da rauskomme«, sagte Susie zu Littlemore. »Wahrscheinlich meinen Sie jetzt, ich schulde Ihnen was.«
    »Nein, Ma’am.«
    Susie legte den Kopf etwas zurück, um den Detective eingehend zu mustern. Nachdem sie das Baby von Betty zurückbekommen hatte, flüsterte sie so leise, dass Littlemore es kaum hören konnte: »Sie bringen sich um Kopf und Kragen.«
    Weder Littlemore noch Betty reagierten.
    »Ich weiß, wen Sie suchen.« Wieder waren Susies Worte kaum wahrnehmbar. »18. März 1907.«
    »Was?«
    »Ich weiß, wer, und ich weiß, was. Sie wissen es nicht, aber ich. Und kostenlos gibt’s trotzdem nichts.«
    »Was ist mit dem 18. März 1907?«
    »Finden Sie’s raus. Und bringen Sie ihn zur Strecke«, zischte sie so heftig, dass sich ihre Hand automatisch über das Gesicht des Babys legte, wie um es zu beschützen.
    »Was ist mit diesem Datum?«, beharrte Littlemore.
    »Fragen Sie nebenan.« Mit diesen Worten verschwand Susie Merrill in der Dämmerung.

     
    Rose bugsierte uns aus der Wohnung – was natürlich sehr liebenswürdig von ihr war. Jedenfalls wollte sie nicht, dass Freud beim Saubermachen half. Was Brill anging, er wirkte so angeschlagen wie ein Soldat mit DaCosta-Syndrom. Er würde nicht mit zum Dinner kommen, erklärte er und bat uns, ihn bei Jelliffe zu entschuldigen.
    Jones nahm die Untergrundbahn zu seinem Hotel, das weiter im Süden lag und weniger teuer als unseres war, während Freud, Ferenczi und ich beschlossen, zu Fuß durch den Park zum Hotel Manhattan zu laufen. Es ist erstaunlich, wie leer New Yorks größter Park am Abend sein kann. Zuerst ergingen wir uns in Vermutungen über die merkwürdige Szene in Brills Apartment; dann fragte Freud Ferenczi und mich, wie er auf Präsident Halls Brief antworten sollte.
    Ferenczi sprach sich dafür aus, sofort ein Dementi loszuschicken, am besten als Telegramm, um klarzulegen, dass das Fehlverhalten, das Freud vorgeworfen wurde, in

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