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Morddeutung: Roman (German Edition)

Morddeutung: Roman (German Edition)

Titel: Morddeutung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jed Rubenfeld
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Wirklichkeit von Jones und Jung zu verantworten war. Die einzige Frage sah Ferenczi nur darin, ob Hall uns Glauben schenken würde.
    »Younger, Sie kennen Hall«, sagte Freud. »Was meinen Sie?«
    »Präsident Hall würde sich auf unser Wort verlassen.« Was ich meinte, war, dass er sich auf mein Wort verlassen würde. »Aber ich überlege schon die ganze Zeit, Dr. Freud, ob diese Leute nicht wollen, dass wir genau das machen.«
    »Wer?«, fragte Ferenczi.
    »Die Leute, die hinter dem Ganzen stecken.«
    »Ich kann nicht folgen.«
    Freud schaltete sich ein. »Ich verstehe, was Younger meint. Wer es auch ist, sie wissen , dass diese Vorwürfe nicht mich betreffen, sondern Jones und Jung. Sie bringen mich dazu, meine Freunde anzuschwärzen, und spätestens ab diesem Zeitpunkt kann Hall nicht mehr behaupten, dass er es nur mit Gerüchten zu tun hat. Im Gegenteil, dann habe ich die Anschuldigungen selbst bekräftigt, und Hall ist gezwungen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Möglicherweise verbietet er Jones und Jung, nächste Woche als Redner aufzutreten. Ich kann meine Vorlesungen zwar halten, aber nur um den Preis, zwei meiner Anhänger zu kompromittieren – und ausgerechnet die beiden, die die günstigsten Voraussetzungen mitbringen, meine Ideen in aller Welt zu verbreiten.«
    »Aber Sie können nicht schweigen wie Schuldiger vor Gericht«, protestierte Ferenczi.
    Freud dachte nach. »Wir werden die Vorwürfe bestreiten, aber nicht mehr. Ich werde Hall in einem kurzen Brief über die Fakten unterrichten: Ich bin verheiratet, ich bin nie aus einer Anstellung an einem Krankenhaus entlassen worden, es hat noch nie jemand auf mich geschossen und so weiter. Younger, bringt Sie das in eine schwierige Lage?«
    Ich verstand, worauf seine Frage zielte. Er wollte wissen, ob ich mich verpflichtet fühlte, Hall darüber zu informieren, dass Freud zwar unschuldig war, nicht jedoch Jones und Jung. Natürlich hatte ich nicht die geringste Absicht, dies zu tun. »Keineswegs, Sir.«
    »Gut«, schloss Freud. »Dann überlassen wir die Entscheidung Hall. Wenn er für eine Schenkung ›von beträchtlichem Umfang‹ bereit ist, der Psychoanalyse den Einzug in den Lehrplan seiner Universität zu verwehren, dann – verzeihen Sie, Younger, wenn ich das so sage – dann lohnt es sich auch nicht, ihn zum Verbündeten zu haben, und Amerika kann meinetwegen vor die Hunde gehen.«
    »Präsident Hall wird sich nie den Bedingungen dieser Familie unterwerfen.« In Wirklichkeit war ich mir meiner Sache nicht so sicher.

     
    Vor dem Gefängnis am Jefferson Market fand Betty Longobardi jetzt drei Worte für Jimmy Littlemore: »Verschwinden wir hier.«
    Doch Littlemore wollte eigentlich noch nicht weg. Er führte Betty zur Sixth Avenue, auf der Männer und Frauen auf dem Nachhauseweg von der Arbeit nach Norden strömten. An der Ecke, nur wenige Schritte von dem reich verzierten Eingang des Gerichtsgebäudes, rührte er sich nicht mehr vom Fleck. Über den ohrenbetäubenden Dröhnen einer Hochbahn hinweg erzählte er Betty aufgeregt von seinem ereignisreichen Tag.
    »Sie hat gesagt, du bringst dich um Kopf und Kragen«, war Bettys Antwort.
    Littlemore hatte sich eigentlich eine anerkennendere Bemerkung über seine Leistungen erhofft. »Sie hat auch gesagt, wir sollen nebenan fragen. Sie hat bestimmt das Gericht gemeint. Komm mit, wir schauen gleich nach.«
    »Ich will nicht.«
    »Es ist ein Gerichtsgebäude, Betty. In einem Gerichtsgebäude kann dir nichts passieren.«
    Drinnen zeigte Littlemore dem Pförtner seine Dienstmarke und erfuhr, wo das Archiv für Prozessakten war, aber auch, dass er dort um diese Zeit wohl niemanden mehr antreffen würde. Nachdem sie zwei Treppen hinaufgestiegen waren und sich in einem Gewirr von Gängen orientiert hatten, kamen Littlemore und Betty zu einer Tür mit dem Schild ARCHIV. Die Tür war verschlossen, das Zimmer dahinter dunkel. Einbruch war für den Detective nicht der übliche Modus Operandi, aber angesichts der Umstände hielt er es für gerechtfertigt. Betty warf nervöse Blicke in alle Richtungen.
    Im Nu hatte Littlemore das Schloss geknackt. Nachdem sie die Tür hinter sich zugemacht hatten, schaltete er eine elektrische Lampe ein. Sie befanden sich in einem kleinen Büro mit einem einzigen riesigen Schreibtisch. Es gab einen Hinterausgang. Dieser war nicht verschlossen; er führte zu einem größeren Raum. Hier entdeckten sie einen Schrank nach dem anderen mit beschrifteten Schubladen. »Keine

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