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Mordgier

Mordgier

Titel: Mordgier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Stockcar-Fußgängern, Handzettelverteilern, Schaufenstergaffern und geschickten Taschendieben auswich. Bei der Überquerung der Fifty-ninth kam ich an der Baustelle vorbei, die einmal das Plaza Hotel gewesen war. Einspänner-Kutscher warteten auf Fahrgäste. Die Luft war mit dem Gestank von Pferdescheiße erfüllt. Ich ging am Rand des Central Park entlang. Die Bäume trugen ihre Herbstfarben mit angemessener Arroganz.
    Um ein Uhr achtundzwanzig saß ich in einer unbequemen Holznische im Le Petit Grenouille, trank Wasser und Rotwein und aß säuerliche, in Öl eingelegte Oliven.
    An den rostfarben gestrichenen Wänden des Lokals hingen unter einer schwarzen Zinndecke uralte Tabakplakate. Die Hälfte der weiß gedeckten Nischen war von eleganten Menschen besetzt. Ein mit goldenen Buchstaben beschriftetes Fenster war der Energie der Straße zugewandt. Auf dem Weg hierher war ich an dem grauen Stadthaus des Bürgermeisters an der Seventy-ninth vorbeigekommen. Es sah nicht anders aus als jede andere Milliardärsbleibe, wenn man von den scharfäugigen Cops in Zivil absah, die die Eingangstreppe bewachten und Einsichtnahme verhinderten.
    Eine lächelnde Kellnerin mit unregelmäßig geschnittenem rotem Haar und einem schmalen Oberkörper brachte einen Korb mit Brot und eine Schale Butter an den Tisch. Ich tat was für meinen Blutzucker und schaute auf die Uhr.
    Um ein Uhr siebenundvierzig betrat ein stämmiger Mann mit blauschwarzem Kinn das Restaurant, sagte etwas zu dem Maître d’ hôtel und kam auf Plattfüßen zu mir herüber.
    »Sam Polito.«
    »Alex Delaware.«
    Politos Hand war hart und rau. Die wenigen Haare, die er noch hatte, waren weiß und dünn. Er trug einen schwarzen Anorak, einen grau gerippten Rollkragenpullover, eine anthrazitfarbene Hose und schwarze Halbschuhe mit goldenen Gucci-Schnallen, die möglicherweise echt waren. Rosige Wangen bildeten einen Kontrast zu einer unteren Gesichtshälfte, die nie rasiert aussehen würde. Sein rechtes Auge war klar und braun. Das andere war ein durchhängender Überrest mit einer milchigen Iris.
    »Hey, Monique«, sagte Polito zu der Kellnerin. »Ist der Lachs heute wild?«
    »Oh ja.«
    »Den nehme ich. Mit dem weißen Spargel und einem großen Glas von diesem Médoc, Château egal.«
    »Kartoffeln?«
    Polito überlegte. »Was soll’s, ja. Nicht ganz so viel Öl.«
    »Bon. M’sieur?«
    »Abgehangenes Steak, medium, Salat, Pommes frites.«
    Polito schaute ihr hinterher, wobei er das Gesicht so hielt, dass sie mitten im Blickfeld seines guten Auges war. »Rotes Fleisch, wie? Keine Cholesterinprobleme?«
    »Bis jetzt nicht«, sagte ich.
    Das Auge betrachtete mich. »Bei mir ist es umgekehrt. Jeder in meiner Familie gibt spätestens mit sechzig den Löffel ab. Ich bin jetzt schon drei Jahre weiter, hab mit achtundfünfzig einen Stent eingesetzt bekommen. Der Arzt sagt, wenn ich aufpasse, was ich esse, und den Vino trinke, stehen die Chancen nicht schlecht, dass ich einen Rekord aufstelle.«
    »Schön für Sie.«
    »Also«, sagte er, »Sie haben ziemlich gute Beziehungen.«
    »Tatsächlich?«
    »Der stellvertretende Polizeichef ruft bei mir zu Hause an, als ich gerade mit meiner Frau zum Lake George aufbrechen will, und sagt: ›Sam, ich möchte, dass Sie sich mit jemandem treffen.‹ Als ob ich immer noch dazu verpflichtet wäre.«
    »Tut mir leid, wenn ich Ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht habe.«
    »Hey, es war meine Entscheidung. Als er mir sagte, worum es sich handelte, war ich mehr als glücklich.« Er schnappte sich ein Stück Brot aus dem Korb, brach es entzwei und sah zu, wie die Krümel herabfielen. »Obwohl es keiner meiner Triumphe war.«
    »Ein harter Brocken.«
    »Jimmy Hoffa wird eher gefunden als die Safrans. Vielleicht am selben Ort.«
    »Unter einem Gebäude«, sagte ich. »Oder im East River.«
    »Das Erstere. Im River hätten wir sie gefunden. Durch das verdammte Teil läuft Wasser in beiden Richtungen, und bei all der Bewegung kommen Leichen nach oben, ich hatte mehr als genug mit Wasserleichen zu tun.« Er nahm sich eine Olive, kaute auf dem Kern herum. »Glauben Sie mir, im River wären sie aufgetaucht.«
    Sein Wein kam. Er roch daran, ließ ihn im Glas kreisen, nahm einen Schluck. »Das reinste Lebenselixier. Der Wein und das Olivenöl.« Er machte die Kellnerin auf sich aufmerksam, formte das Wort »Öl« mit den Lippen und goss pantomimisch welches aus.
    Nachdem er die Hälfte der goldenen Pfütze mit seinem Brot aufgetunkt hatte,

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