Mordgier
winzigen I-Love-NY -Wimpeln verschönert.
Der Angestellte bewegte die Lippen, während er meinen Reservierungszettel studierte. »Die Rechnung wird mit einer Art Gutschein bezahlt …«
»Vom L.A. Police Department.«
»Mir egal.« Er sah auf einer Karteikarte nach. »Keine Nebenausgaben.«
»Haben Sie Zimmerservice?«
»Nee, Telefon. Die Gebühren sind Wucher, ich würde ein Handy benutzen.«
»Danke für den Tipp.«
»Ich brauche eine Kreditkarte. Vier-dreizehn. Das ist im vierten Stock.«
*
Ich öffnete die Tür und betrat das Zimmer.
Zweieinhalb mal zweieinhalb Meter mit einem halb so großen Bad und dem geballten Charme einer MRT-Kammer.
Eine einzelne Matratze, so dünn wie Tony Mancusis Murphy-Bett, wurde von einem Nachttisch festgekeilt, der aus einem geheimnisvollen rosa-gelben Material gefertigt worden war. Ein an die Wand geschraubter Neun-Zoll-Bildschirm kämpfte mit einer Unzahl verhedderter Kabel um seinen Platz. Die Ausstattung wurde durch eine festgenietete Stehlampe und ein verschmutztes Aquarell des Chrysler Building komplettiert.
Das einzige Fenster war doppelverglast und nicht zu bewegen, und seine Scheiben waren dick genug, den Lärm der Forty-eighth Street und des Broadway zu einem beständigen, gereizten Grollen zu dämpfen, das von willkürlichem Hupen und Scheppern unterbrochen wurde. Wenn man die mullfarbenen Vorhänge zuzog, verwandelte man das Zimmer in ein Grab, senkte die Lautstärke aber nicht.
Ich zog mich aus, schlüpfte unter die Laken, stellte den Wecker an meiner Armbanduhr zwei Stunden weiter und schloss die Augen.
Eine Stunde später war ich immer noch hellwach und versuchte, meine Gehirnwellen auf den urbanen Soundtrack von unten abzustimmen. Irgendwie schaffte ich es einzunicken, wurde aber um elf unsanft von dem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Ich rief Detective Samuel Polito (i.R.) an und hörte die Ansage einer Frauenstimme, die mir gestattete, eine Nachricht zu hinterlassen. Innerhalb der Zeit, die ich zum Duschen und Rasieren brauchte, registrierte mein Telefon einen Rückruf.
»Polito.«
»Detective, hier spricht Alex Delaware -«
»Der Seelenklempner, wie geht’s Ihnen? Ich habe vor Ihnen eine Verabredung. Wo sind Sie?«
Ich sagte es ihm.
»Diese Absteige?«, entgegnete er. »Dort haben wir immer Zeugen untergebracht, Typen, die man für eine Aussage vor Gericht in der Nähe haben musste, die aber keine Lust dazu hatten, wenn man nicht den Babysitter für sie spielte. Wir gaben ihnen dann eine Riesenpizza, Pay-per-View-Fernsehen und eine gutaussehende Bezirksstaatsanwältin als Begleitperson.«
»Null von drei ist gar nicht so schlecht«, erwiderte ich.
»Das Executive«, sagte er. »Da fühle ich die Jahre von mir abfallen. Hören Sie, ich kann mich nicht früher als halb zwei mit Ihnen treffen. Falls Sie ein spätes Frühstück allein zu sich nehmen wollen, nur zu.«
»Ich hätte mein Jell-O und Haferflocken mit ins Flugzeug genommen, aber der Sicherheitsdienst meinte, sie könnten Feuer fangen.«
»Sie haben anscheinend Humor. Den werden Sie brauchen. Okay, kommen Sie um halb in dieses Lokal, Le Petit Grenouille. Seventy-ninth zwischen Lex und Third, französisch, aber freundlich.«
*
Um zwölf war ich auf der Straße. Die Luft war frisch und unerklärlicherweise belebend, und das Grollen hatte sich zu etwas von melodischer Fülle verwandelt. Bis zu meiner Verabredung zum Mittagessen verblieben neunzig Minuten; ein Drittel davon benutzte ich, um einen Spaziergang zu der letzten bekannten Adresse von Paul und Dorothy Safran zu machen.
Ein Gewerbegebiet, mehr Last- als Personenwagen. Der dreistöckige Bau, in dem Lieber Braid und Trim untergebracht waren, war von rechteckigen Fenstern gesäumt. Die Drahtglasscheiben waren schmutzverkrustet.
Ich fragte mich, was Roland Korvutz veranlasst hatte, seine Pläne zur Umwandlung in Eigentumswohnungen aufzugeben, machte kehrt und schlug die Richtung zur Fifth Avenue ein.
Allein in einer großen fremden Stadt zu sein beeinflusst mein Gehirn manchmal auf merkwürdige Weise, löst euphorische Schocks aus, gefolgt von Melancholie. Normalerweise dauert es eine Weile, bis es dazu kommt. Diesmal setzten die Phänomene sofort ein, und als ich New Yorks belebte Straßen mit schnellen Schritten durchmaß, kam ich mir schwerelos und anonym vor.
An der Kreuzung der Fifth mit der Forty-second wurde ich von der Menge vor der Stadtbücherei verschluckt und stieß in nördlicher Richtung vor, indem ich
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