Mordkommission
anschließend die vorgesetzten und sonst beteiligten Dienststellen über eine sogenannte Ereignismeldung per Mail.
Stille herrschte in den Fluren des geschichtsträchtigen Gemäuers unseres Präsidiums. Die aus Kostengründen auf Sparbetrieb
umgestellte nächtliche Beleuchtung in den Gängen trug das Ihre dazu bei, das Unwirkliche der Szenerie zu unterstreichen. Nicht
weit entfernt lag eine junge Frau bleich und leblos in einer Kühlkammer und drei Kinder weinten um ihre Mutter, und der, der
dafür verantwortlich war, saß ein paar Meter entfernt und berichtete scheinbar emotionslos meinen Kollegen von der Tat. Im
Nachtprogramm des Radios warnte eine übernächtigte Stimme vor einem Stau auf einer Autobahn, und die Kaffeemaschine schien
durch lautes Gurgeln darauf aufmerksam zu machen, dass sie wieder einmal entkalkt werden musste. Im Stillen nahm ich mir –
wieder einmal – vor, meinen Kaffeekonsum |225| auf vier oder höchstens fünf Tassen pro Tag zu reduzieren. Irgendwann ertönten die Schritte der ersten Kollegen, die zum Tagdienst
kamen, auf dem Flur. Es war 7.15 Uhr. Während der normale Dienstbetrieb anlief, beendeten die Kollegen die Vernehmung. Bei der morgendlichen Dienstbesprechung
im Kreis der Angehörigen unserer Mordkommissionen berichtete ich über die beiden Fälle, die wir am Vortag »gestochen« hatten.
Ausgeruhte Kollegen boten sich spontan an, verschiedene Ermittlungen für uns zu übernehmen. Dann war es für den Sachbearbeiter
und einen Beamten des Erkennungsdienstes Zeit, zum Institut für Rechtsmedizin zu fahren, um der Obduktion beizuwohnen.
Für die Vorführung des Beschuldigten beim Ermittlungsrichter zum Erlass des Haftbefehls mussten noch einige Vernehmungen ergänzt
werden. Gegen Mittag wurde die Ermittlungsakte – mittlerweile schon über einhundertzwanzig Seiten stark – dem Sachbearbeiter
der Staatsanwaltschaft übergeben, der den Vorgang dem Ermittlungsrichter vorlegte. Gegen den Beschuldigten wurde Haftbefehl
wegen Mordes erlassen. Der Nachmittag verging damit, Asservate zur Auswertung zu verschicken, weitere Zeugen für die kommenden
Tage vorzuladen und mit der Spurensicherung am Tatort fortzufahren. Für die drei Kinder des Opfers wurde eine vorläufige Vormundschaft
errichtet. Einen Teil der Zeit mussten wir naturgemäß auch auf den zweiten Mordfall des Vortages verwenden. Irgendwann gegen
18 Uhr verließen wir schließlich die Dienststelle, wo wir die letzten fünfunddreißig Stunden wieder einmal ununterbrochen unter
»Volllast« tätig gewesen waren. Und die Bereitschaft würde noch weitere fünf Tage andauern. An diesem Abend ging ich ungewöhnlich
früh zu Bett und trotz des drohend lauernden Bereitschaftshandys auf meinem Nachtkästchen dauerte es keine drei Minuten, bis
ich in Tiefschlaf gefallen war. Ich empfand es nicht als negativ, dass ich erst am nächsten Morgen durch meinen Wecker und
nicht schon in der Nacht durch das Klingeln des Handys geweckt wurde.
|226| Die Faszination des Schreckens
Kaum ein anderer Beruf kann sich rühmen, auch nur annähernd so viel Interesse zu erwecken, so viele Spekulationen auszulösen
und zugleich so geheimnisumwittert zu sein wie der Beruf des Mordermittlers in einer Mordkommission. Die Faszination hat vielfältige
Ursachen: So ist das ungebrochene Interesse an der Tätigkeit von Kriminalisten, im früheren Sprachgebrauch wie deren private
Konkurrenz allgemein als Detektive tituliert, nicht erst durch die großen Detektivgestalten der Weltliteratur geweckt, wohl
aber durch sie bis zum heutigen Tage gefördert worden. Nick Knatterton, Hercule Poirot, Sherlock Holmes oder Miss Marple sind
zu Synonymen für Scharfsinn und Ausdauer, Kombinationsvermögen und Aufrichtigkeit geworden, die durch Geist und Witz, durch
akribische Beobachtungsgabe und durch ihr kriminalistisches Gespür Millionen in ihren Bann ziehen und ihrem Berufsstand zu
Ruhm und Ansehen verhalfen. Anfang der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts kamen dann polizeiliche Mordermittler via TV in
alle Wohnzimmer, teils als akrobatische Actionhelden, die ihre Mordfälle quasi so nebenbei, während atemberaubender Verfolgungsfahrten
oder bei minutenlangen Schusswechseln à la ›Miami Vice‹, klärten, teils aber auch als bescheidene, ja, geradezu unscheinbare
und vermeintlich schusselige Kriminaler, wofür Columbo ein Paradebeispiel ist.
Bei all diesen überragenden Kriminalisten handelt es sich
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