Mordkommission
natürlich um fiktive Gestalten, die Wirklichkeit sieht – wie die
vorgestellten Fälle zeigen – weniger schillernd aus, und die tägliche Kleinarbeit, das oft monatelange Zusammentragen von
einzelnen Mosaiksteinen erfordert viel Geduld. Dennoch beweist das Interesse an erfundenen und an realen Verbrechen, wie sehr
der Beruf des Kriminalbeamten geeignet ist, die Phantasie der Menschen zu beflügeln, und mit welcher Begeisterung die meisten
Menschen nach der Lösung verzwickter Fälle suchen. Man könnte fast meinen, das »Detektivspielen« |227| befriedige ein Grundbedürfnis des Menschen, sei gewissermaßen ein Nachhall aus der Zeit der Jäger und Sammler. Der Beruf des
Detektivs – so scheint es – kommt der Natur des Menschen entgegen, zu forschen und zu suchen, Neues entdecken und Rätsel lösen
zu wollen.
Was aber ist das Besondere an der Arbeit eines Kriminalers, wenn sich so viele Menschen außerhalb dieses Berufsstandes so
intensiv mit seiner Arbeit beschäftigen? Kriminalpolizeiliche Ermittlungsarbeit bedeutet, Sachverhalte zu erforschen, die
andere umsichtig und raffiniert verschleiert haben; Spuren zu entdecken und richtig zu bewerten, die dem unbedarften Betrachter
verborgen bleiben. Mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Bildung, mit den unterschiedlichsten Charakteren, in den
unterschiedlichsten Graden von Betroffenheit oder Aggression zu tun zu haben und dabei immer professionell zu agieren und
zu reagieren – und das in jeder Umgebung, zu jeder Tages- und Jahreszeit.
Einer der wichtigsten Gründe für das Interesse an der Tätigkeit des Kriminalisten erscheint mir jedoch zu sein, dass jeder
Mensch – von einer Minute auf die andere – selbst Opfer einer Straftat werden kann. Diese permanente latente Gefahr für jeden
von uns hält das Interesse wach, lässt uns frösteln bei dem Gedanken, dass wir selbst jetzt anstelle des Opfers sein könnten,
von dessen schrecklichem Schicksal wir im Geborgenen, im warmen und sicheren Zuhause vor dem Fernseher erfahren. Erschaudernd
malen wir uns aus, was wohl passiert wäre, wenn wir gerade in dem Moment am Ort des Verbrechens gewesen wären, wie unerträglich
es gewesen wäre, wenn unser eigenes Kind Opfer geworden wäre oder was geschehen hätte können, wenn der Täter in unserer Nachbarschaft
gewohnt hätte. Wir projizieren also das Geschehene auf uns selbst, auf unser Leben, unsere Familie, und deswegen verschlingen
wir begierig jedes Detail, und sei es auch noch so abstoßend oder erschreckend, um dann am Ende erleichtert zu registrieren,
was uns erspart geblieben ist. Und um die Gewissheit zu erlangen, dass dieser brutale Mörder gefasst und hinter Schloss und
Riegel |228| gebracht wurde und wir vor ihm keine Angst mehr zu haben brauchen.
Zugleich aber wissen wir, dass es noch unzählig viele andere Täter gibt, die jetzt gerade, während wir diese Zeilen lesen,
auf der Suche nach einem Opfer ziellos durch die Gegend streichen. Und vielleicht steht ja genau in dieser Sekunde eine unheimliche
Gestalt vor Ihrem Fenster, die nur darauf wartet, dass in Ihrem Schlafzimmer endlich das Licht erlischt …
Da es sicher etliche Leser gibt, die sich neben den realen Fällen auch für ganz praktische Fragen interessieren, möchte ich
Ihnen zuletzt noch Einblick geben in den Aufbau und die Struktur einer Mordkommission und beschreiben, welche Qualifikationen
ein Mordermittler – zumindest idealtypisch skizziert – haben sollte.
|229| Wie eine Mordkommission aufgebaut und strukturiert ist
Die als »1er-Kommissariate« bezeichneten Kriminalpolizeidienststellen in ganz Deutschland bearbeiten Straftaten, die sich
gegen die sogenannten »höchstpersönlichen Rechtsgüter« richten wie Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit oder sexuelle
Selbstbestimmung; aber auch Branddelikte und ungeklärte Todesfälle gehören in ihren Zuständigkeitsbereich. Bei einem Tötungsdelikt
wird eine Mordkommission gebildet, die ein erfahrener Beamter aus dem Bereich K 1 beziehungsweise K 11 der örtlich zuständigen
Kriminalpolizeiinspektion leitet; oftmals arbeiten außer Kriminalbeamten auch besonders befähigte Beamte der örtlichen Schutzpolizeidienststellen
mit. Eine Ausnahme von dieser Regel stellten immer schon die Städte Berlin, Hamburg und München dar. In diesen drei Städten
bestehen seit Langem fest eingerichtete Mordkommissionen. In München beispielsweise gibt es im Kommissariat K 11
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