Mordkommission
und zwei Angehörige des KIT die Familie betreuten. Vor der Tat war es – wie so oft – zu einem Streit zwischen den Eheleuten
gekommen, bei dem der Ehemann seiner Frau vorgeworfen hatte, ihre häuslichen Pflichten stark zu vernachlässigen und dem Internetspiel
»World of Warcraft« praktisch verfallen zu sein. Zugleich verdächtigte er sie, bei den diversen Chats über das Spiel auch
mit einem Liebhaber Kontakt zu halten. Aufgrund der häufigen Auseinandersetzungen zwischen dem Ehepaar war das Jugendamt schon
eingeschaltet worden.
Am Tatabend packte der Mann schließlich wütend seine Koffer, um sich von seiner Familie zu trennen. Seine Frau half ihm dabei
und trug die Koffer ins Treppenhaus. Dort eskalierte der Streit erneut, woraufhin der Mann in die Wohnung zurückging, aus
der Küche ein Küchenmesser holte und damit auf seine vor der geöffneten Wohnungstür stehende Frau einstach. Nachdem die Frau
im Flur zusammengebrochen war, warf sich die kleine Tochter schützend über den Kopf ihrer Mutter, um den Vater von weiteren
Stichen abzuhalten. Der ältere Sohn rannte zu den Nachbarn |223| und holte Hilfe. Der Nachbar und ein Besucher fanden den Täter über seine Frau gebeugt, das Messer hatte er noch in der Hand.
Es gelang ihnen, beruhigend auf den Täter einzuwirken und ihm die Waffe wegzunehmen. Unterdessen versuchten der Sohn des Opfers
und ein Nachbarsjunge – der, wie andere Nachbarn auch, durch die gellenden Hilfeschreie aufgeschreckt worden war – der Verletzten
Erste Hilfe zu leisten, bis der alarmierte Notarzt eintraf.
Telefonisch nahm ich Kontakt zu einem der beiden Mitarbeiter des KIT auf, um ihm mitzuteilen, dass Maria V. mittlerweile verstorben
war, was er aber bereits von einer weiteren Cousine des Opfers wusste. Erst einmal konnten die Kinder bei ihrer Verwandten
bleiben, allerdings bat die Frau sehr darum, verschiedene Sachen aus der Tatwohnung holen zu dürfen. Vor allem das Kuschelkissen
für das kleine Mädchen und ein paar Stofftiere wären wichtig. Während sie und ein Sanitäter kurze Zeit später wortlos Spielsachen,
Kleidung und Toilettenartikel zusammenpackten, brachte niemand von uns einen Ton heraus. Konnte es für die Psyche eines kleinen
Kindes etwas Schrecklicheres geben, als hilflos zuschauen zu müssen, wie der geliebte Papa die geliebte Mama ersticht?
Mein vorhergehender Einsatz, bei dem ich dem Vater des Mordopfers den gewaltsamen Tod seines Sohnes hatte mitteilen müssen,
war noch keine fünf Stunden her. Für den alten Mann war eine Welt zusammengebrochen und ich konnte ihn gerade noch auffangen,
ehe er zu Boden stürzte. Und jetzt diese Situation. Es war einer jener Augenblicke, in denen ernsthafte Zweifel an mir nagen,
ob ich auf Dauer für diese Aufgabe wirklich geeignet bin. Aber dann sah ich, dass auch meine scheinbar so hartgesottenen Kollegen
mit den Tränen zu kämpfen hatten. Und da wusste ich, dass wir gemeinsam auch diese schlimme Erfahrung meistern würden.
Ich entschied, die Befragung der Kinder bis auf Weiteres zurückzustellen, da sie erst einmal in die Obhut von Psychologen
gehörten und vor einer Vernehmung ohnehin ein |224| gesetzlicher Vormund bestimmt werden musste. Gemeinsam würden wir morgen entscheiden, ob und wie die Kinder befragt werden
sollten. Die Leiche von Maria V. wurde beschlagnahmt und ins Institut für Rechtsmedizin überführt. Auf dem Rückweg durch die
nächtliche Stadt zur Dienststelle – mittlerweile war es zwei Uhr morgens – besorgte ich in einem Schnellrestaurant diverse
Hamburger, Pommes und andere der Gesunderhaltung des Körpers dienende Speisen, die wir zu dritt kurz darauf im Aufenthaltsraum
verzehrten. Wir besprachen dabei die Ergebnisse unserer Ermittlungen und stimmten das weitere Vorgehen ab. Dann holten die
beiden Kollegen den Beschuldigten aus der Haftanstalt zur Vernehmung in ihr Büro. Der Täter, dessen Oberbekleidung wie üblich
zur Spurensicherung sichergestellt worden war, trug Kleidung aus der Haftanstalt. Die Nachricht, dass seine Frau ihren Verletzungen
erlegen war, quittierte er lediglich mit einem leisen: »Sie hat den Tod verdient, sie wollte mir die Kinder wegnehmen.«
Während in den nächsten Stunden die Vernehmung erfolgte, begann ich, die diversen Erstzugriffsberichte, die nach und nach
per Mail oder per Fax eintrafen, zu sichten und eine Ermittlungsakte anzulegen. Am PC erstellte ich einen Ausrückbericht und
informierte
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