Mordkommission
ein, der auf diese Frage süffisant erwidert hatte: »Wenn du in allen denkbaren Berufen der Beste bist, dann kannst du dich
als Lehrling bei der Mordkommission bewerben.« Das war natürlich hemmungslos übertrieben. Und doch steckt eine ernsthafte
Überlegung in dieser Aussage. Zugegeben: Wie oft kommt es schon vor, dass ein hochbegabter Physikprofessor eine Versuchsreihe
so aufbaut, dass ein junger Student, der ein Verhältnis mit der Frau des Professors hat, dabei einen tödlichen Stromschlag
erleidet? Kaum denkbar auch, dass ein Landwirt |232| bei der Säuberung eines Silos absichtlich darauf verzichtet, seinen Erbonkel darauf hinzuweisen, den Bunkerraum nicht ohne
Sauerstoffgerät zu betreten. Was aber, wenn so etwas doch einmal passiert? Ist es wirklich abwegig, zu glauben, dass es Leute
gibt, die ihr Spezialwissen – egal in welchem Bereich – dazu einsetzen könnten, um anderen zu schaden, ohne sich selbst dafür
in irgendeiner Weise verantworten zu müssen? Die Wirklichkeit zeigt weltweit und täglich, dass es nichts gibt, was es nicht
gibt. Fachleute sind sich darin einig, dass unzählige Morde niemals als solche erkannt wurden. Hinreichend bekannt ist das
Bild von den nächtens hell erleuchteten Friedhöfen – würde auf jedem Grab, in dem ein verkanntes Mordopfer liegt, eine Kerze
brennen. Würde dies im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass es denen, die bei diesen Todesfällen hinzugezogen wurden, um Anhaltspunkte
für Fremdverschulden festzustellen, vielleicht doch am letzten Feinschliff fehlte? Und am berufsspezifischen Wissen? Diese
Überlegungen waren es wohl, die unseren Dozenten zu seiner provozierenden Bemerkung veranlassten.
Experte in allen möglichen Berufen zu sein (oder zumindest gewisse Grundkenntnisse zu haben), bedeutet indes noch längst nicht,
dass man auch ein guter Mordermittler ist. Die eine Seite des Berufs nämlich ist die, eine Tat oder Tatabläufe objektiv als
solche überhaupt zu erkennen. Dabei bedient sich der Mordermittler selbstverständlich erfahrener Spezialisten aus allen denkbaren
Bereichen, zieht zum Beispiel Rechtsmediziner, Schriftgutachter, Daktyloskopen (Experten für Fingerabdrücke), Physiker u. v. a.m. hinzu. Genauso wichtig aber ist es, durch die Beschäftigung mit der Persönlichkeit des Opfers und seinem Umfeld ein Tatmotiv
zu erkennen und durch psychologisch geschicktes Vorgehen Aussagen zu erhalten, die letztlich zu einem Tatverdächtigen führen
und in ein Geständnis münden. Dieser Teil eines Ermittlungsvorgangs stellt hohe Anforderungen an einen Mordermittler. Voraussetzung
für Erfolg in diesem Beruf ist daher neben fachlicher Qualifikation auch eine Vielzahl anderer Eigenschaften und Fähigkeiten.
So sollte man über gute Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen, |233| geschickte Rhetorik, gute Beobachtungsgabe, kriminalistischen Spürsinn, »Jagdeifer«, Verschwiegenheit, Verantwortungsbewusstsein,
Geduld und Ausdauer, schnelles Reaktions- und Kombinationsvermögen, eine gewisse schauspielerische Begabung, gute Umgangsformen
und sicheres Auftreten verfügen. Weiterhin sind Entschlussfreudigkeit, technisches Verständnis und die Fähigkeit zur Abstraktion
wünschenswert. Doch damit immer noch nicht genug. Denn alle Erkenntnisse und Ergebnisse, die veranlassten Maßnahmen und natürlich
alle Vernehmungen müssen gerichtsverwertbar und chronologisch nachvollziehbar zu Papier gebracht werden. Daher sind ein guter
Schreibstil und einwandfreie Rechtschreibkenntnisse sowie der sichere Umgang mit einem PC weitere unverzichtbare Voraussetzungen
für einen Kriminaler. Ein guter Mordermittler sollte zudem zumindest Grundkenntnisse aus den Bereichen Psychologie, Pädagogik,
Krisenintervention, Kommunikations-, Video- und Elektrotechnik, Fotografie, Wirtschaftskunde und EDV besitzen – die Liste
ließe sich je nach dem zu klärenden Fall beliebig erweitern! Eine Selbstverständlichkeit sind ferner umfassende Rechtskenntnisse;
hat man es doch in der Regel mit den besten Rechtsanwälten zu tun, die jede Rechtsunsicherheit sofort erkennen und gnadenlos
zu Lasten des Ermittlers und zu Gunsten ihres Mandanten auszuschlachten versuchen. Gute Kenntnisse in einer oder besser in
zwei Fremdsprachen sind ebenfalls wünschenswert, da man im Rahmen der EU und dank zahlreicher zwischenstaatlicher Übereinkommen
immer häufiger Kontakte mit ausländischen Polizeieinheiten hat.
Wenn man all diese
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