Mordlicht
in Brand zu setzen. Nachdem es ihm
nicht gelungen war, schleuderte er das billige Einmalfeuerzeug mit einer
ausladenden Armbewegung in die Tiefe. »Scheiße«, fluchte er.
»Komm mit runter vom Dach. Dann kannst du in Ruhe eine
Zigarette rauchen«, lockte Christoph.
»Wovon denn? Morgen kommt der Gerichtsvollzieher.
Zwangsräumung. Soll ich wirklich den Rest meines Lebens als Penner auf ‘ner
Parkbank hocken?«
»Bei uns in Deutschland fällt niemand durch die
Maschen.«
»Lächerlich. Solche Sprüche hab ich oft gehört. Doch
wenn’s drauf ankommt – nicht die Bohne. Es tut uns Leid, wird dir gesagt. Alles
Kacke.« Der junge Mann spuckte aus und sah dem Auswurf in die Tiefe nach.
»Jeder kann mal in die Sackgasse geraten. Doch da
kommt man immer wieder raus.«
»Hohle Sprüche. Seit meiner Schulzeit bin ich auf der
Suche. Wir bedauern, Auhagen. Vielleicht später, Auhagen. Sie müssen Geduld
haben, Auhagen. Ich hab den ganzen Mist hinter mir.«
»Wollen wir nicht in Ruhe darüber reden?«
Der junge Mann sah auf den immer noch hockenden
Christoph herab. »Ich hab die Schnauze voll. Von einem Trouble zum
nächsten. Das lohnt nicht mehr. Ich hab Angst. Richtige Angst. Weißt du
überhaupt, was das heißt? Nein! Da mach ich lieber Schluss, als so weiterleben
zu müssen.«
»Wovor hast du Angst?«
»Vor denen.«
»Wer sind ›die‹? Was wollen die von dir?«
Auhagen schwieg einen Moment und sah zu den Wolken
hinauf, die landeinwärts jagten.
»Lieber spring ich, als denen in die Hände zu fallen.
Das hier geht schnell. Ratzfatz. Alle. Wenn die dich erwischen, dann gnade dir
Gott.«
Langsam stemmte sich Christoph in die Höhe. Was war
das für eine Angst, die der junge Mann hatte? Vor wem fürchtete er sich so
sehr, dass er lieber Selbstmord begehen wollte?
Christoph hatte sich aufgerichtet. In Zeitlupe
streckte er seine Hand vor.
»Komm, niemand wird dir was antun. Das verspreche ich
dir. Wir reden in aller Ruhe darüber.« Er sah die Unsicherheit in Auhagens
Augen. Jetzt fehlte nicht mehr viel, dann hatte er es geschafft und den Mann
von seinem Vorhaben abgebracht. Vorsichtig setzte Christoph den rechten Fuß vor
und zog den anderen nach. Als dieser neben dem rechten zum Stehen kam, huschte
erneut eine Sturmböe über das Dach. Christoph kam ins Straucheln, versuchte das
Ungleichgewicht abzufangen und machte einen Ausgleichsschritt nach vorn. Er
vermochte nicht zu sagen, ob Auhagen ebenfalls von der Böe erfasst wurde oder
nur erschrocken zurückweichen wollte. Mit rudernden Armen stolperte der Junge
über den Rand des Hochhauses und verschwand in der Tiefe.
»Neiiin!«, hörte Christoph sich rufen und fiel
vornüber. Er robbte die wenigen Zentimeter bis zum Rand und beugte seinen
Oberkörper vor. Bevor er etwas erkennen konnte, spürte er kräftige Hände an
Beinen und Armen, dann wurde er zurückgezogen. Erst jetzt bemerkte er, dass ihm
der Zugführer der Feuerwehr und Große Jäger auf die Beine halfen.
»Das darf nicht wahr sein«, stammelte er, »das ist
alles so sinnlos.«
Der Oberkommissar legte fast fürsorglich seinen Arm um
Christophs Schulter und führte ihn zum Dachausstieg.
»Komm erst mal mit«, sagte er mit besänftigender
Stimme. »Für das eben Geschehene kann niemand etwas. Das sind die Abgründe des
Schicksals.«
»Nein«, protestierte Christoph. »daran glaube ich
nicht. Der Tod dieses Menschen war überflüssig.«
*
Das leise Klappern der Tastatur unter Mommsens
gleichmäßigen Anschlägen wirkte fast wie die begleitende Rhythmusgruppe zu
einem Stück in Moll, das auf den Einsatz der Soloinstrumente wartete. Und wie
um dies unter Beweis zu stellen, meldete die Kaffeemaschine auf der Fensterbank
mit einem Zischen, dass der letzte Wassertropfen im Behälter seinen
Aggregatzustand verändert hatte und jetzt auf dem Weg durch den Filter in die
Glaskanne unterwegs war. Die Komposition hätte von Stockhausen, Kagel oder
einem anderen der neueren und ihm nicht zugänglichen Komponisten sein können.
Christoph saß an seinem Schreibtisch, hatte den Kopf
aufgestützt und bemühte sich um treffende Formulierungen für das Protokoll über
die Vorgänge vom gestrigen Abend. Das Angebot seiner beiden Kollegen, sich noch
zusammenzusetzen, hatte er abgelehnt. Das war falsch gewesen. Immer wieder
waren seine Gedanken zum Dach zurückgekehrt, immer wieder tauchte Fabian
Auhagen auf. Hätten andere Umstände dieses Unglück verhindern können?
Schon dem angehenden Polizisten wird auf der
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