MordLust
grünen Müllsack, von Maden zerfressen und schon fast völlig verwest.
Als Lucas an diesem Abend beim Essen saß, nachdem er zwanzig Minuten geduscht hatte, um den Gestank des Todes loszuwerden, motzte er alle an. Gabriella Coombs würde ihn noch eine Weile verfolgen; die Sache hatte seinem Selbstbewusstsein einen ganz schönen Schlag versetzt.
Doch genauso belastete ihn, dass er aus Erfahrung wusste, dass er sie in einem Jahr mehr oder weniger vergessen haben würde. Er würde sie irgendwo abgelegt haben und nur noch ganz selten an sie denken.
Er hatte sich mit einem Bier hingesetzt und sah sich ein Baseballspiel der Chicago Cubs an, als Weather mit dem Telefon hereinkam und es ihm gab. »Ich hab einen Blick drauf geworfen und kann Ihnen nur eines sagen: Es wird schwierig werden«, erklärte der Gerichtsmediziner. »An der Leiche ist
nichts Offenkundiges zu erkennen, auch unter ihren Fingernägeln ist nichts. Wir werden alles untersuchen, was wir finden, aber wenn eh nicht viel da ist … Außerdem hat sie schon etliche Tage unter der Erde gelegen.«
»Verdammt noch mal«, sagte Lucas. »Da muss doch irgendwas sein.«
Da war auch was; doch er brauchte eine Weile, bis es ihm einfiel.
SIEBENUNDZWANZIG
L ucy Coombs kam barfuß zur Tür, und als sie Lucas dort stehen sah, die Hände in den Taschen, fragte sie durch das Fliegengitter: »Warum sind Sie nicht gekommen und haben es mir gesagt?«
Coombs war in die Gerichtsmedizin gegangen, um sich ihre Tochter anzusehen. Lucas hatte sich vor allem gedrückt. Er hatte Jerry Wilson, den ursprünglichen Ermittler aus St. Paul im Mordfall Marilyn Coombs, zu Lucy geschickt, um ihr zu sagen, dass man die Leiche ihrer Tochter gefunden hatte.
»Ich hab es einfach nicht über mich gebracht«, sagte er nun, da er auf ihrer Veranda stand.
Sie betrachtete ihn einige Sekunden lang, dann schob sie die Fliegentür auf. »Sie sollten besser reinkommen.«
Sie hatte einen Plastikkrug mit Eistee im Kühlschrank stehen, und sie setzten sich damit auf die Terrasse hinterm Haus. Dort erzählte sie ihm, wie sie mit einem Mann, von dem sie glaubte, dass er Gabriellas Vater gewesen sein könnte, und einem weiteren Paar in einem alten umgebauten Molson-Bierwagen durch die kanadischen Rockies gereist war, wie sie Dope geraucht und die abgedrehtesten Rockkassetten gehört hatten, zu Sommerfestivals gegangen waren und in Parks übernachtet hatten. Und wie sie unterwegs noch mit ein paar anderen gut aussehenden Typen geschlafen hatte. »Ich hatte immer ein Faible für blonde Jungs. Ist nicht böse gemeint.«
»Kein Problem.«
»Der Sommer meines Lebens. Eine gute Zeit, gutes Dope,
gute Freunde, und dann war ich schwanger«, sagte sie. Sie saß seitlich auf der Campingbank aus Redwood. »Mein Gott, hab ich dieses Kind geliebt. Aber ich war keine gute Mutter. Wir haben uns häufig gestritten. Das fing an, als sie zwölf war, und hörte nicht auf, bis sie zweiundzwanzig war. Ich glaube, wir mussten beide erst erwachsen werden.«
Sie redete noch eine Weile weiter, dann stellte sie die Frage, die in den Zeitungen und auch sonst überall gestellt worden war. »Sind Sie sicher, dass Amity Anderson es getan hat?«
»Nein«, sagte Lucas. »Ich glaube sogar, dass sie es nicht getan hat. Sie hätte es gewesen sein können, doch es gibt da ein paar Probleme.«
Er erzählte ihr, dass er noch einmal nach Eau Claire gefahren war und dort mit Frazier, dem Stellvertreter des Sheriffs, und allen anderen Ermittlern gesprochen hatte, die er erreichen konnte. Amity Anderson hatte keinen Freund gehabt, sagten sie. Sie hatte einfach keinen. Man hatte herausgefunden, wo sie ihre Abende verbracht hatte, hatte ihre Telefonunterlagen gecheckt und ihre Kreditkartenabrechnungen vom Tanken sowie ihre Post überprüft. Sie hatte keinen Freund.
Und sie hatte dieses Alibi für die Nacht, in der Donaldson ermordet worden war. Dieses Alibi war solide. Andererseits: Wäre Leslie Widdler denn wirklich allein in das Haus gegangen? Hätte er nicht jemanden zur Unterstützung haben wollen? Und in der Nacht, in der Gabriella verschwand, waren von Andersons Haus zwei Telefongespräche geführt worden, eins früh, eins ziemlich spät. Die Angerufenen hatten bestätigt, dass sie mit ihr gesprochen hatten.
»Das bedeutet zwar nicht, dass sie es nicht doch getan haben könnte, aber die Beweise sind ziemlich dürftig«, sagte Lucas.
»Glauben Sie, dass Widdlers Frau, ich hab ihren Namen in der Zeitung gelesen
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