MORDMETHODEN
nur seine Familie wochenlang nicht sehen darf (sie könnte Einfluss auf die Entscheidung nehmen), sondern auch von Nachrichtensendungen und Zeitungen abgeschnitten ist. Deshalb ist es ein Volkssport, sich vor der jury duty zu drücken, indem man schon bei der Vorauswahl möglichst einseitige politische oder sonstige Meinungen formuliert. Da sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft entscheiden, welcher Juror im Spiel bleibt, kann sich jedermann durch dieses Verhalten leicht dem ungeliebten Dienst entziehen. Die nun verbleibende Auswahl besteht entweder aus treuen Staatsbürgern oder Menschen, die nichts anderes zu tun haben.
Im Fall O. J., den die Verteidigung als hoffnungslos erkannt hatte, ging das Spiel aber viele Schritte weiter. Anfangs wollten sogar noch recht viele Menschen an dem Spannung versprechenden Verfahren beteiligt sein. Robert Shapiro, einer der bekanntesten Anwälte der USA, sicherte sich daher die Dienste von Jo-Ellen Dimitrius, einer Expertin für die Auswahl von solchen Jurymitgliedern, die später möglichst nach der richtigen Pfeife tanzen.
Da weder Shapiro noch Dimitrius an den gesunden Menschenverstand glauben, machten sie erst einmal eine Umfrage, in der Menschen gezielt befragt wurden, wie sie in einem ähnlichen Fall wie dem von O. J. entscheiden würden. Das »Warum« der Entscheidung interessierte die Tester dabei nicht; es ging nur um das Endergebnis: Freispruch für O. J., egal aus welchen Gründen.
Die Staatsanwältin Marcia Clark spielte den Verteidigern dabei schon früh ein As in die Hände. Bereits vor der Auswahl der Jury verkündete sie, sie würde keine Todesstrafe für O. J. beantragen. Deshalb konnte die Verteidigung mit mildem Lächeln alle JurorInnen unberücksichtigt lassen, die bei der Vorauswahl angaben, dass sie gegebenenfalls auch für eine Todesstrafe votieren würden. Genau diese Todesjuroren sind aberbekannt dafür, im Zweifel auch gegen einen Angeklagten zu stimmen. Es sind gleichsam die WunschjurorInnen der Staatsanwaltschaft. Durch die Vorabauslese der Hardliner verlor die Anklage also gleich zu Anfang ihre besten Verbündeten.
Außerdem ergaben erste Umfragen, dass schwarze Jurymitglieder eher für als gegen O. J. stimmen würden, da er ebenfalls schwarz war. Staatsanwältin Marcia Clark sah das anders. Sie meinte stur, dass schwarze Frauen diejenigen Juroren wären, die am ehesten auf ihrer Seite stünden, da in den USA vor allem schwarze Frauen von ihren Ehemännern geschlagen werden. Und das, so Clark, müsste diese besonders unnachgiebig gegenüber einem aktenkundigen Frauenschläger wie Simpson machen.
Trotz ihrer vorgefassten Meinung spielte Clark im Juli 1993 zusammen mit der Jury-Beratungsfirma DecisionQuest einen Probeprozess durch. Fünf Männern und fünf Frauen, davon sechs Weiße und vier Schwarze, wurden in einem Büro kurze Auszüge aus dem zu erwartenden Prozessgeschehen vorgetragen. Zu Clarks großem Erstaunen fiel die Entscheidung der JurorInnen anders aus, als sie gedacht hatte: Alle Schwarzen stimmten gegen eine Verurteilung von Simpson, während alle Weißen dafür waren. Und es wurde noch besser: Beide Seiten rückten durch nichts von ihrer offenbar nur durch die Hautfarbe getragenen Entscheidung ab. Die Theorie von schwarzen Frauen als beste Jurorinnen für die Staatsanwaltschaft hatte sich damit ins Gegenteil verkehrt.
Doch Clark gab nicht auf. Sie stellte sich vor die Testjury und sagte, man möge einmal annehmen, das Blut am Leichenfundort stamme hundertprozentig von O. J. und einer seiner Handschuhe sei ebenfalls am Fundort aufgetaucht. Der dunkelhäutige Teil der Jury blieb wieder unbeeindruckt. Immer noch stimmten drei der vier schwarzen Juroren für O. J.s Unschuld. Clark raufte sich die Haare.
Je weiter DecisionQuest in den folgenden Tagen experimentierte, desto schlimmer wurde es. »Nur weil ein Mannseine Frau hin und wieder schlägt, ist er noch lange kein Mörder«, sagten die schwarzen Juroren. »In jeder Beziehung gibt es schon mal ein bisschen Ärger, und hin und wieder kriegt einer auch schon mal eins gewischt. So ist das halt«, gaben sie zu Protokoll. Als das Team der Beratungsfirma noch deutlicher wurde und um Noten für O. J. Simpson und sein Opfer Nicole Brown bat, erhielt O. J. im Schnitt neuneinhalb von zehn Sympathiepunkten, seine Exfrau lag dagegen nur im mittleren Bereich. Den Verteidiger Simpsons, Robert Shapiro, fanden die JurorInnen »klug, schlagfertig und gewitzt«, während sie
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