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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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die Staatsanwältin anders einschätzten: »Zicke«, »Nutte«, »verschlagen« und »unangenehm«.
    Marcia Clark wollte nicht glauben, was sich vor ihren Augen abspielte. Sie baute immer noch auf die geistige Aufgewecktheit der echten Jury im wirklichen Verfahren. Damit machte sie zwar einen der größten Fehler ihres Berufslebens, aber das konnte ihr später egal sein. Nach dem Prozess stieg sie aus dem Job aus und schrieb ein mit mehreren Millionen US-Dollar honoriertes Buch über den Fall Simpson.
    Wie auch immer, am 26. September 1994 begann die offizielle Auswahl der JurorInnen. Richter Lance Ito hatte 900 Personen (!) zur Vorrunde gebeten. Als er erklärte, dass die Jurymitglieder umgerechnet nur fünf Euro pro Tag verdienten und in völliger Abgeschiedenheit leben müssten, hatten die meisten Kandidaten innerlich bereits gekündigt. Denn nur wenige Firmen in den USA zahlen abwesenden MitarbeiterInnen weiter das Gehalt.
    Außerdem jagte Richter Ito der Menschenmenge (am ersten Tag waren 219 der möglichen JurorInnen geladen) einen gewaltigen Schrecken ein. »Ich habe noch nie einen so ungewöhnlichen Fall wie diesen gesehen«, sagte er. »Ihre Entscheidung ist vielleicht die wichtigste, die Sie jemals in Ihrem Privatleben treffen werden.« Das war zwar völliger Unsinn, bewirkte aber, dass nun auch die Wankelmütigen und Schüchternen adieu sagten.
    Da der Richter ein friedliebender Mann war, ließ er alle gehen, die nach seiner Ansprache genug hatten. Sie mussten im Fragebogen nur vermerken, dass ihr Arbeitgeber sie nicht bezahlen würde oder dass sie aus »privaten Gründen« nicht teilnehmen wollten. Nach vier Tagen war die Zahl der möglichen Juroren auf 304 Kandidaten zusammengeschmolzen. Daraus sollten zwölf JurorInnen und zwölf Ersatzleute ausgewählt werden.
    Nun kam die Stunde der Anwälte und der Staatsanwaltschaft. In typisch US-amerikanischer Verwaltungswut hatten beide Parteien 294 Fragen zusammengetragen, die den möglichen Kandidaten vorgelegt wurden. Einfachere Fragen lauteten zum Beispiel, ob man schon einmal mit einem Menschen anderer Hautfarbe geschlafen habe oder ob man sich das Autogramm eines Stars besorgt habe. Andere Fragen mussten mit einem kleinen Aufsatz beantwortet werden, etwa die, worin man die Ursache von Gewalt in der Familie sehe oder warum Sport gut für den Charakter sei. In diesem Wald aus Papier und Tinte streckte das O.-J.-Simpson-Prozess-Monstrum genüsslich seine Fühler aus.
    Die Verteidigung sammelte weiter Punkte. Denn durch die Fragerei fühlten sich mehr und mehr weiße, gut ausgebildete und männliche Kandidaten vor den Kopf gestoßen. Sie schieden freiwillig aus, und bereits am 12. Oktober bestand die Vorauswahl zur Hälfte aus schwarzen JurorInnen, von denen drei Viertel Frauen waren. Obwohl der Bevölkerungsanteil an Schwarzen in den USA nur elf Prozent beträgt und obwohl schwarze Frauen die schlechtestmöglichen Juroren für diesen Fall waren, wollte Marcia Clark nicht wahrhaben, was auf sie zukam.
    Gleichzeitig spielte der Verteidiger Johnnie L. Cochran, der mit Robert Shapiro ein schwarz-weißes Duo bildete, erfolgreich den Medienmanipulator. »Uns scheint, dass die Anklage schwarze JurorInnen hinauswerfen will, und das nur, weil sie schwarz sind und schwarze Helden haben und weilO. J. Simpson einer davon ist.« Dieser bandwurmlange Zirkelschluss trug Früchte: »Anklage nimmt schwarze JurorInnen aufs Korn«, stand am kommenden Tag auf der Titelseite der Los Angeles Times . Shapiro und Cochran hatten damit die Marschroute festgelegt; es würde im Prozess nicht um irgendwelche Beweise, sondern um die Hautfarbe des Angeklagten gehen. Und so kam es schließlich auch. Ein ums andere Mal betonten die Verteidiger, die Polizei von Los Angeles sei Schwarzen gegenüber feindlich eingestellt (was stimmte) und habe daher einen Handschuh von Simpson hinter seine Mauer geworfen, um ihn zu belasten (was nicht stimmte). Egal, wie unsinnig das war, vor allem angesichts der übrigen Beweise und Belastungsmomente, die JurorInnen waren verunsichert und griffen auf ihre vorgefasste Meinung zurück: O. J. war ein Guter, der niemanden umbringen konnte.
    Am Ende des Prozesses waren aufgrund der nervlichen Strapazen zehn JurorInnen ausgeschieden und durch Nachrücker ersetzt worden. Zuletzt stimmten zwölf Menschen über die Schuld von O. J. Simpson ab, die folgende Eigenschaften besaßen:
     
    • Kein Einziger von ihnen las regelmäßig Zeitung,
    • nur zwei hatten einen

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