MORDMETHODEN
erübrigt sich oft jedes weitere Hadern und Abwägen: Es gibt nur noch eine einzige Erklärungsmöglichkeit, die den Sachbeweis mit den möglichen Tathergängen in Einklang bringt.
Allerdings kann nur ein guter Kriminalist ausschließen, dass es nicht doch noch eine andere Erklärungsmöglichkeit für den Tathergang gibt. (Gute Kriminalisten können neben Kriminalpolizisten manchmal auch Juristen, Kriminaltechniker oder Naturwissenschaftler sein.) Deswegen hat Arthur Conan Doyle seinem Romandetektiv Sherlock Holmes auch den Satz in den Mund gelegt, dass in einem Kriminalfall alle unrichtigen Annahmen ausgeschlossen werden müssen, sodass diejenige, die als Einzige übrig bleibt, zwangsläufig die Richtige sein muss .
Das Gute an Holz ist, dass es nicht verrottet, wenn es in einem trockenen Raum gelagert wird. Als Koehler in Trenton ankam, konnte er daher dreierlei tun. Zuerst sah er sich die Leiter in Ruhe an. Sie bestand, wie geschildert, aus drei Teilen und war mit einem Gesamtgewicht von nur 17 Kilogramm in der Tat etwas instabil. Dass die Leiter zerlegbar war, konnteviele Gründe haben. Einer davon war, dass sie in Haus und Hof eingesetzt werden sollte. Ein anderer war, dass sie Platz sparend verstaut werden sollte, vielleicht in einer kleinen Wohnung. Jedenfalls passten die Teile problemlos auch in ein Auto.
Auffallend war, wie lieblos die ganze Konstruktion war. Die Tritte waren zwar nicht aufgenagelt, wie es ein Laie vielleicht getan hätte. Sie lagen aber trotzdem nur in grob gesägten Vertiefungen. Auch das konnte viel bedeuten. Entweder verstand der Erbauer nichts vom Schreinern, oder er hatte wenig Zeit. Vielleicht wollte er die Leiter ohnehin nur einmal verwenden. Wie gut, dass dem Experten gleichgültig sein muss, was seine Befunde für den Fall bedeuten! Sein Job ist Wahrheit, nicht Gerechtigkeit. Er kann sich also auf die Untersuchung konzentrieren und die Deutungen den Kriminalisten und Juristen überlassen.
Koehler vermisst die Leiterstücke bis auf einen zwanzigstel Millimeter genau. Die Leiter besteht aus 17 Teilen sowie den zwei Holzstücken, die zum Zusammenstecken der Leiterstücke benutzt werden. Besonders auffällig ist die Längsstrebe Nummer 16. Sie besteht aus einem minderwertigen, sicher schon einmal benutzten Stück Kiefernholz. Während alle anderen Langteile zersägte Dachleisten mit einer allgemein im Handel üblichen Kantenlänge sind, hat Strebe 16 andere Maße. Sie ist seitlich und vorn von Hand zurechtgesägt. Anders ausgedrückt, Strebe 16 stammt mit Sicherheit nicht von einer Dachleiste, sondern ist das abgesägte Stück eines ehemaligen Brettes.
Dessen Längsseiten sind mit einem Messer glatt gezogen worden, das offenbar schartig war. Die Scharten sind besonders unter schräg einfallendem Licht gut zu erkennen.
Dann sind da noch die Löcher der vierkantigen Nägel in Brett 16. Sie deuten darauf hin, dass das Holzstück längere Zeit im Inneren eines trockenen Gebäudes vernagelt war, weil die Eisenstifte sonst Rost angesetzt hätten. Man sieht aber keinen Rost an den Rändern der viereckigen Löcher. Weil das Holzstückeine Maserung mit Astlöchern hat, die als hässlich gilt, wird das Holz am ehesten zum Bau von Silos oder Speicherböden verwendet worden sein, wo man es nicht sieht.
Es zeigt sich außerdem, dass die Leiterstücke Nummer 12 und 13 einmal zusammengehörten: Sie sind aus einer einzigen Dachleiste geschnitten. Das eine Ende dieser (nun bei der Polizei wieder zusammengelegten) Leiste ist aber merkwürdigerweise eineinhalb Millimeter dicker als das andere Ende. Wie kann solch ein Unterschied bei einer maschinellen Sägung im Holzwerk entstehen?
Die Antwort: Als die Leiste aus der Maschine kam, war sie noch auf beiden Seiten gleich dick. Da das Holz aber aus einem Baumstamm geschnitten ist (und nicht aus gepressten Spänen besteht), ist es an beiden Enden verschieden gewachsen. Das eine Ende der Leiste lag im lebenden Baum bodennah, das andere Ende strebte himmelwärts. Das weiter unten liegende Holzstück ist aus zusammengedrücktem, stabilerem Baumgewebe geformt. Das weiter oben liegende Holz ist weniger fest und enthält in Hohlräumen mehr Luft und Wasser. Es schrumpft daher beim Trocknen stärker als das festere Holz in Bodennähe. Dieser Schrumpfungsunterschied wird aber erst Wochen nach dem Sägen erkennbar, wenn das Holz völlig durchgetrocknet ist.
Koehler rechnet. Die harte Seite der Leiste kann kaum geschrumpft sein, weil das Holz dort so fest ist.
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