MORDMETHODEN
Licht. »Charles Lindbergh war auf der Flucht«, sind sich beispielsweise Strafverteidiger Gregory Ahlgren und Polizist Stephen Monier sicher.
»Es ist kein Zufall, dass er kurz vor der Exekution [von Hauptmann, die ursprünglich für Januar 1936 geplant war, dann aber bis April verschoben wurde; M. B.] aus den USA verschwand, während Gouverneur Hoffmans Ermittlungenden forschenden Blick der Öffentlichkeit herausforderten. Während dieser Ermittlungen wollte Charles Lindbergh lieber nicht im Land sein. Er hatte es allerdings geschafft, die Presse kunstvoll zu manipulieren. Die New York Times berichtete über [seine Abreise; M. B.] genau so, wie Lindbergh es sich wünschte: dass er das Land verlassen musste, weil seine Familie nicht mehr sicher war.«
Doch wovor floh Lindbergh wirklich? Vermutlich davor, dass doch noch herauskäme, wer den kleinen Charles auf dem Gewissen hatte – nämlich Lindbergh selbst.
Allerdings hatte der Vater es nicht auf das Lösegeld abgesehen. Wer die für den Empfänger erfolgreiche Geldübergabe anzettelte, bleibt bis heute unklar. Entweder war es Condon selbst, oder Condon wurde als Vermittler ausgenutzt.
Es spricht aber nichts dagegen, dass Lindbergh das Geld selbst einstrich. Denn als dieser das Haus seiner Schwiegereltern seinerzeit verließ, traf auch dort ein Erpresserschreiben über genau 50 000 Dollar ein; dieselbe Summe, um die es auch bei der echten Entführung gegangen war! Dass das damalige Lösegeld beim Botschafterehepaar – Annes Eltern – nicht eingesammelt werden konnte, lag vielleicht daran, dass Lindbergh und Anne bereits mit dem Zug auf dem Weg in ihr junges Glück waren.
Doch wenn es Lindbergh nicht um das Lösegeld ging, worum dann?
»Wir wissen, dass Lindbergh anderen Leuten gerne sehr böse Streiche spielte«, erklären Ahlgren und Monier und zählen einige dieser Streiche auf, die der Held laut seiner zahlreichen Biografen begangen hatte. »Es ist nicht lustig, einem anderen Kerosin in den Wasserkrug zu füllen, was diesem einen Krankenhausaufenthalt einbringt … Es ist ebenso wenig lustig, eine Giftschlange in das Bett eines Kollegen zu stecken, von dem bekannt ist, dass er eine höllische Angst vor Schlangen hat. Das Opfer hätte sterben können, wenn nicht vom Schlangenbiss, dann an Herzschlag … Lustig war es auch nicht, alsder Colonel während eines Abendessens bei neuen Bekannten ohne jeden Anlass ein Glas Wasser über den Kopf seiner Ehefrau Anne schüttete und damit zugleich ihr Seidenkleid ruinierte … So gemein das alles ohnehin schon war, der Tiefpunkt der ›Späße‹ des Colonels war noch nicht erreicht. Einige Monate vor dem Verschwinden des Kindes hatte Charles Lindbergh das Baby aus dem Bettchen genommen und in einem Schrank versteckt. Das ganze Haus war in Aufruhr und Panik, dass das Kind entführt worden sein könnte. Erst nach 20 Minuten tauchte es wieder auf.«
So gesehen war wohl auch der Erpresserbrief an seine Schwiegereltern nur ein verunglückter Spaß. Lindbergh, der lebenslang kontrollierte und organisierte Mann, wollte am 1. März 1932 einen wirklich guten Trick aufführen. Vielleicht war er vom sechs Jahre zuvor verstorbenen Houdini inspiriert, dem berühmtesten Illusionskünstler der damaligen Zeit. Auch Houdini war ein Flugpionier (er flog als erster Mensch mit einem Doppeldecker in Australien) und vollbrachte waghalsige artistische Kunststücke. Vielleicht wollte Lindbergh auch nur einen Scherz machen, der perfekt und undurchschaubar war: Nachdem das Haus in heillose Aufregung über das erneute Verschwinden von Charles jun. geraten wäre und nachdem der Kleine dieses Mal nicht im Schrank lag, hätte Vater Lindbergh fröhlich pfeifend durch die Haustür treten können – seinen Sohn im Arm. Das wäre sicher ein Spaß nach dem Geschmack des bei seinen Freunden als »etwas rau« bekannten Piloten gewesen.
Er zimmerte also die Leiter und bestimmte telefonisch, dass seine Familie im alten Haus bleiben solle. Nur dort konnte er das Kind auch bei geschlossenen Fensterläden und vor allem unbeobachtet aus der Wiege holen. Das Kinderzimmer lag an einer Hausecke, die vom Eingangsbereich des Hauses her nicht einzusehen war ( Abb. 9 ). Dann wollte er die Leiter abbauen und gemeinsam mit dem kleinen Charles später wieder auftauchen.
Dass der Hund nicht bellte und das Kind nicht schrie, ist auf einmal kein Wunder mehr. Es war nur das Herrchen, das ums Haus schlich. Der Erpresserbrief, der plötzlich in der Nähe des Fensters
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