MORDMETHODEN
nachmittags bei meinem Zahnarzt.«
Das war es. Mehr wusste Lindbergh nicht. Und mehr werden wir auch nicht erfahren.
1941 bot Lindbergh dem Präsidenten der USA an, als Pilot der Luftwaffe in den Krieg zu ziehen. Aber Roosevelt lehnte ab. Stattdessen durfte er als Privatmann im Pazifik Einsätze gegen die Japaner fliegen. Mittlerweile war auch bekannt geworden, dass Lindbergh den Nationalsozialisten wohl gesonnen und vom Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Hermann Göring, mit dem höchsten Zivilorden Deutschlands ausgezeichnet worden war.
Nach dem Krieg vergaßen die US-Amerikaner, wie auch die Deutschen, erst einmal alles Unersprießliche. Als Lindbergh 1974 auf Hawaii starb, war er wieder der Einsame Adler – ein Ehrentitel, den Lucky Lindy unmittelbar nach seinem Atlantikflug erhalten hatte. Der Spaßmacher und selbst ernannte Ermittlungsleiter wurde 72 Jahre alt. Nach dem unglücklichen Tod des kleinen Charles hatte er zusammen mit seiner Gattin noch fünf Kinder: Jon, Land, Anne, Scott und Reeve.
Anne Hauptmann lebte bei Verwandten in Philadelphia,bis sie im Oktober 1994 starb. Der Verteidiger ihres Mannes starb 1940, und Gouverneur Hoffman verlor, wie schon erwähnt, 1938 seinen Posten.
Sachbeweise
Bleibt nur noch eine Frage: Ist Lindbergh schuldig? Wie würden Sie entscheiden? Denn entscheiden müssen Sie, wenn Sie in den USA in die Jury berufen werden. Sind Sie der Meinung, der Täter sei schuldig, können Sie außerdem recht sicher sein, dass der Richter die Todesstrafe verhängt. Erst recht, wenn soeben ein neues Gesetz eingeführt wurde, das dem Angeklagten geradezu auf den Leib geschrieben ist, das »Lindbergh-Gesetz«, und hohe Strafen bei Entführung festsetzte.
Stellen Sie sich vor, Sie wären in die Jury des Lindbergh-Falls aufgenommen worden. Der Fall hat sich vor Ihren Augen aufgerollt, und jetzt ist der letzte Verhandlungstag. Gleich geht es zur Beratung mit Ihren Mitjuroren. Sie blättern noch einmal in Ihrem Notizbuch und stellen fest, dass da ein Holzfachmann etwas herausgefunden hat. Holzfachmann? Worum ging es noch gleich?
Die Leiter bestand aus insgesamt vier Holzarten: aus der gewöhnlichen Ikea-Kiefer, der Gelbkiefer, der Douglasie (auch Douglas-Fichte genannt) sowie der Birke. Ein Jahr nach Verschwinden des kleinen Charles Lindbergh, im März 1933, war der staatliche Holzexperte Arthur Koehler zur Polizei nach Trenton in New Jersey gebeten worden. Er sollte sich die ganze Leiter, nicht nur einzelne Holzproben, ansehen.
Gerechtigkeit vs. Wahrheit
Wir Zentraleuropäer lachen oft über das (US-amerikanische) Jurysystem, weil Menschen sich bekanntlich leicht beeinflussen lassen. Auch der Autor dieses Buches glaubt, dass Zweifel gerechtfertigt sind. Denn vorgefasste Meinungen und Stimmungen einerseits sowie Beschwörungen und Theater von Verteidigern und Staatsanwälten andererseits hat er in den USA in mehreren Kriminalfällen erlebt. Er hat nicht bemerkt, dass diese Art der Rechtsfindung auch nur im Geringsten der Wahrheit zugute gekommen wäre. Doch Wahrheit ist das Einzige, was ihn beruflich interessiert.
Dass Gerechtigkeit, Rechtsprechung und Wahrheit nicht immer das Gleiche sein müssen, wissen alle Menschen, die politische Entscheidungen fällen. Sie müssen oft Unwahres in Kauf nehmen, um ein politisches Ziel zu verfolgen, oft sogar ein sehr gutes. In einem Gerichtssaal sollte Taktieren und Spekulieren aber keinen Platz haben, denn hier geht es darum, die Wahrheit darüber herauszufinden, was wann und warum geschehen ist. Wenn das nicht feststeht, kann das Urteil des Gerichts nur zufällig gerecht sein.
Deshalb haben in den letzten Jahrzehnten immer mehr Arten von Sachbeweisen ihren Platz vor Gericht gefunden. Die wichtigsten Neuheiten waren dabei, wie bereits erwähnt, die Einführung von Fingerspurenuntersuchungen ab etwa 1900 und die Entdeckung genetischer Fingerabdrücke ab 1985. Diese beiden Kriminaltechniken verbinden nicht nur Täter und Tatort, sondern auch Tatort und Tatort. Selbst wenn ein Täter also erst Jahre später gefasst wird, kann ihm so eine Serientat nachgewiesen werden.
Der Hauptvorteil der Sachbeweise gegenüber Zeugenaussagenist, dass sie unabhängig sind von Zeitströmungen und Meinungen. Sie entsprechen unserem Ideal einer objektiven, das heißt in keine Richtung beeinflussbaren Aussage. Fehlen Sachbeweise, so ist das Feld offen für Vermutungen.
Finden sich jedoch Sachbeweise, so müssen sie richtig verstanden und ausgelegt werden. Dann
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