MORDMETHODEN
der Liebhaberin rückt die Scheidungsdrohung in den Bereich des Möglichen. Andererseits sagt der Pastor, dass sowohl er als auch seine Frau sich schon öfter außerehelich verliebt hätten. Weil es aber ohnehin keinen Zahlenwert gibt, der die Wahrscheinlichkeit der Scheidungsdrohung sicher ausdrücken kann, wird sich kein Naturwissenschaftler als Sachverständiger vor Gericht zu diesem Thema äußern. Genauer gesagt, er will, darf und kann es nicht, weil er dazu vielleicht eine Meinung, aber kein gesichertes Wissen hat.
Ein anderes Beispiel: Sogar ein unbestreitbarer, positiv ausgefallener Vaterschaftstest erbringt aus rechnerischen Gründen »nur« ein 99,9999-prozentiges Ergebnis. Das bedeutet, dass unter Millionen Menschen kein zweiter denselben genetischen Fingerabdruck hat wie der untersuchte Vater. * Die Übereinstimmungen in den genetischen Fingerabdrücken von Vater und Kind bedeuten zugleich, dass das Kind vom Vater abstammt. (Das Kind erbt die eine Hälfte seines genetischen Fingerabdrucks von der Mutter, die andere vom Vater.) Allerdings kann nur ein Richter, niemals aber der Sachverständige, entscheiden, welcheFolgen dieser Befund in einem laufenden Rechtsstreit hat, beispielsweise, welche Kosten dem Vater entstehen oder bei wem das Kind leben soll.
Um sich nicht von vornherein auf die oft irreführende Diskussion um Zahlenwerte und Wahrscheinlichkeiten einzulassen, sagten die Erdexperten im Fall Geyer, es sei ausgeschlossen , dass die Bodenprobe nicht vom Leichenfundort stammt. Die beiden Verneinungen sind völlig sicher, eine einfache Bejahung wäre es vor Gericht vielleicht nicht.
* Allgemein Verständliches dazu findet sich in Mark Benecke, Kriminalbiologie (vgl. Anhang).
Das Gericht bildete sich daher eine andere Meinung zu den Stiefeln. Es war davon überzeugt, dass die im Auto des Angeklagten gefundenen Gummistiefel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Fundort des Leichnams getragen wurden. Denn die Erdanhaftungen an den Schuhen konnten nicht älter sein als vom 24. Juli, dem Tag vor der Tat. Die Stiefel, so das Gericht, seien nachweislich nur von den Eheleuten Geyer getragen worden. Zum Zeitpunkt der Tötung könne abernur Pastor Geyer sie angehabt haben, da die Leiche seiner Frau eigene Schuhe trug.
Damit war es anhand einer Erdprobe und mit Kombinationsgabe gelungen, das Gesamtbild der Tat besser zu verstehen. Geyer hielt trotzdem bis zuletzt dagegen, dass es für die Befunde nur eine einzige Erklärung gebe: Seine Frau müsse mit den Gummistiefeln am Fundort gewesen sein und diese danach in das Auto des Pastors gestellt haben.
Sechsbeinige Spuren
Ganz besondere Aufmerksamkeit schenkte die Presse im Fall Geyer der Untersuchung von Gliedertieren. Da der Autor dieses Buches Gutachter im Fall Geyer war, darf er über seine Untersuchungen nichts sagen. Er will aber die Arbeit seines Kollegen Bernd Seifert schildern, der ebenfalls mit Insekten als Fundortspuren arbeitete. Der wesentliche Unterschied war, dass der eine Gutachter anhand von Fliegenlarven bestimmen sollte, wie lange die Leiche im Freien lag, der andere hingegen ausgewachsene Ameisen benutzte, um den gelben Gummistiefel dem Leichenfundort zuzuordnen.
Die kriminalistische Idee der Ameisenuntersuchung war dieselbe wie bei Faserspuren, die beispielsweise vom Pullover eines Täters stammen und an einer Leiche gefunden werden. Irgendwann, so lautet die Arbeitsannahme, müssen sich Pullover und Leiche berührt haben.
Das Gleiche galt für die Ameise am Stiefel des Pastors. Wenn erstens die Schuhe vom Angeklagten getragen wurden und wenn zweitens die Ameise vom Leichenfundort stammt, dann könnte der Schuh samt seinem Träger dort gewesen sein. Die Ameise verbindet die möglichen Indizien so, dass diese eine gerichtlich verwertbare Bedeutung erlangen können.
»In der Endphase des über 20 Verhandlungstage laufenden Indizienprozesses«, erinnert sich Seifert, »wurden die … Gummistiefel mit den daran befindlichen Bodenanhaftungen zueiner Schlüsselfrage.« Die Bodenkundler hatten zuvor schon festgestellt, dass die Erde im Profil der Stiefelsohle nicht vom Wohnsitz des Pastors stammte. Dazu untersuchten sie unter Vergrößerungsgeräten, welche Bodenteilchen aus Mineralien oder verrotteten Pflanzen sowie Pollen sich darin fanden. Der erfahrene Anwalt des Pastors wollte jedoch mehr wissen: »Dass die Stiefel mit höchster Wahrscheinlichkeit am Leichenfundort gewesen sind, wurde durch die Verteidigung am 8. April 1998
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