Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
Vom Netzwerk:
mit einem Nebenbeweisantrag zur Identität [Herkunft] der Ameisen infrage gestellt.« Seifert, der am Staatlichen Museum für Naturkunde in Görlitz arbeitet und einer der besten Ameisenkenner Deutschlands ist, wurde nun hinzugezogen. »Das Gericht«, sagt er, »erwartete … Aussagen zu folgenden Fragen: (a) Gehören die von der Bluse der Getöteten asservierten Ameisen und die im Bodenmaterial der Stiefelanhaftung eingebettete Ameise zur gleichen Art, und (b) wie häufig ist diese Art im östlichen Niedersachsen, falls eine Artidentität festgestellt wird?«
    In seinem Labor bestimmte Seifert daher zunächst, um welche Ameisenart es sich in den Proben vom Stiefel und in denen, die er am Fundort der Leiche genommen hatte, handelte. »Etwa fünf und neun Meter vom Leichenfundort entfernt befanden sich am Fuße hohler Hainbuchen-Stämme zwei Nestausgänge von Lasius fuliginosus [Glänzende Schwarze Holzameise], die trotz der niedrigen Lufttemperatur von acht Grad Celsius gut belaufen waren.« Anhand der Größe der Ameisenkolonie und der Menge von biologischem Abfall, den die Tiere angehäuft hatten, schätzte Seifert, dass die Kolonie schon seit über zwei Jahren in den hohlen Stämmen lebte. Ein morsches Holzstück auf der Brust der Leiche stammte ebenfalls von einer Stelle neben einem der Nesteingänge der Ameisen. Mit dem Holz waren auch Ameisen verschleppt worden.
    Auf der Bluse der Toten und am Gummistiefel fand sich dieselbe Ameisenart. »Die Sicherheit der Artbestimmung ist100 Prozent«, sagt Seifert, »da es sich um den einzigen mitteleuropäischen Vertreter der unverwechselbaren Untergattung Dendrolasius handelt und der Erhaltungszustand der Ameisen in beiden Proben sehr gut ist … Bei allen untersuchten Ameisen handelt es sich um flugunfähige Arbeiter, deren Aktionsradius 25 Meter Entfernung vom Mutternest kaum übersteigt … Die Wahrscheinlichkeit für Windverdriftung oder sonstigen passiven Ferntransport ist praktisch null.«
    Und damit schloss sich der oben angedeutete kriminalistische Kreis. Da es sich im Schmutz der Schuhsohlen um Tiere handelte, die sich nur in einem kleinen Umkreis um ihr Nest bewegen, und da ein solches Nest nahe der Leiche lag, mussten auch die Schuhe nahe der Leiche gewesen sein.
    So überzeugend dieses Ergebnis ist, einen Haken hat die Sache aber doch. Denn in einer fairen Verhandlung muss die Frage erlaubt sein, wie häufig man die betreffende Ameisenart auch anderswo antrifft. Es könnte ja sein, dass die Stiefel von irgendjemandem getragen wurden, der durch Zufall, aber eben weit weg vom Fundort der Leiche, ebenfalls eine Glänzende Schwarze Holzameise in sein Schuhprofil trat.
    Seifert griff daher auf Zahlen zurück, die er im Lauf von 20 Jahren selbst ermittelt hatte. Auf zahllosen Streifzügen hatte er über 100 Flächen nach jedem einzelnen Ameisennest abgesucht und bestimmt, welche Tiere sich darin fanden. Zudem war dem Biologen die auffällige Ameise Lasius fuliginosus auch sehr oft »im Vorübergehen« begegnet. Er wusste über die Art also sehr gut Bescheid und konnte errechnen, dass die Glänzende Schwarze Holzameise sich zwar in fast ganz Deutschland findet, im Vergleich zu anderen Ameisenarten aber nur sehr wenige Nester aufbaut. So finden sich auf 100 Quadratmetern insgesamt 138,5 Ameisennester, aber nur 0,036 davon stammen rechnerisch von Lasius . »Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Mensch beim zufallsverteilten Gehen in diversen Kunst- und Naturhabitaten der Kulturlandschaft des östlichen Niedersachsens auf ein Exemplar von Lasius fuliginosus trittund dieses auch noch am Stiefel haften bleibt, muss als statistisch sehr gering angenommen werden«, folgerte Seifert. »Da sich der Täter am Leichenfundort unmittelbar vor den Nestausgängen einer volkreichen L.-fuliginosus -Kolonie befand, wo im Hochsommer Tausende von Arbeitern über den Waldboden laufen, waren die Chancen für das Eintreten dieses Ereignisses deutlich erhöht. Die Wahrscheinlichkeit, hier auf eine Lasius fuliginosus zu treten, dürfte um den Faktor 102 bis 104 höher gewesen sein als beim zufallsverteilten Gehen in der Kulturlandschaft.«
    Mit anderen Worten: Erstens fanden sich unter dem Stiefel dieselben Tiere wie auf der Leiche und am Leichenfundort. Zweitens tritt von 100 Spaziergängern in freier Natur nur ungefähr einer eine Glänzende Schwarze Holzameise in sein Sohlenprofil. Drittens fanden sich die Schuhe im Auto des Pastors, viertens waren sie seiner Frau viel zu groß, fünftens

Weitere Kostenlose Bücher