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MORDMETHODEN

MORDMETHODEN

Titel: MORDMETHODEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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[Trübung der Augen bei Leichen; M. B.] aufweisen, so bewegen sie sich doch nicht mehr. In ihrer Transparenz sind sie lebendig, ihre Starre ist jedoch die des Todes. Dies alles kann Minuten dauern, bei völlig gesunden Personen sogar Stunden: Der Tod tritt nicht sofort ein … So überleben alle vitalen Teile die Enthauptung. Für den Arzt bleibt schließlich nur der Eindruck eines grauenvollen Experiments, einer mörderischen Vivisektion, auf die eine vorzeitige Beerdigung folgt.«
    Dieser Bericht stammt nicht aus der Zeit der Französischen Revolution, sondern aus dem Jahr 1956. Er wurde von den französischen Ärzten Piedelievre und Fournier verfasst, die im Auftrag der Académie de Médecine die Leichen Hingerichteter unmittelbar nach der Enthauptung zu untersuchen hatten.
    Geht man den Berichten nach, entdeckt man Erstaunliches. Man findet Sagen vom Lauf mit dem Schwert Enthaupteter, die zuvor den Willen geäußert hatten, damit ihre Unschuld zu beweisen, ihre Komplizen zu befreien oder ihren Angehörigen das Land, das ihr kopfloser Rumpf betreten würde, gewinnen zu wollen. Aus einer alten Chronik ist überliefert, dass der 1337 wegen Landfriedensbruch zusammen mit vier seiner Knappen zum Tode verurteilte Ritter Diez von Schaumberg auf dem Richtplatz den Richter gebeten haben soll, seinen unschuldigen und nur durch seine Überredung verführten Knappen das Leben zu schenken, wenn sich nach vollzogener Enthauptung sein Rumpf vom Boden erheben und an der Reihe seiner vier Knappen vorüberwandeln würde. »Sofort aber, nachdem das Haupt zu Boden gefallen war, erhob sich der Rumpf, wandeltean der Reihe der Knappen vorüber und sank dann leblos zu Boden.«
    Von Scharfrichtern wird erzählt, dass sie das kurze Weiterleben der Geköpften zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen wussten. Im Sagenbuch des Voigtlandes (1871) von Robert Eisel heißt es, ein Scharfrichter habe eine Enthauptete noch über neun Äcker, die daraufhin sein Eigentum wurden, geführt. Eise Angstmann führt den Fall eines Scharfrichters namens »von Dreißigacker« an, den der Kurfürst Johann Georg I. im Jahr 1647 in Dresden wegen seiner Geschicklichkeit mit diesem Namen geadelt haben soll, nachdem es ihm gelungen war, einen geköpften Leib, dessen Verbluten er durch ein Stück ausgestochenen Rasens verhindert hatte, an der Hand über »30 Äcker« zu führen.
    Dass die Muskulatur des eingesargten Rumpfes noch stundenlang zuckt [eine unrichtige Aussage; M. B.], ist eine scheußliche Vorstellung, entsetzlich der Gedanke, der im Eimer liegende Kopf könne noch empfinden und Bewusstsein haben.
    Im Jahr 1803 hat in Breslau ein Arzt namens Wendt zusammen mit einer Gruppe von Kollegen die Kaltblütigkeit besessen, die Frage nach dem »kurzen autonomen Leben« eines abgeschlagenen Kopfes experimentell zu überprüfen. Sie nahmen an der Hinrichtung eines Mannes mit Namen Troer teil. Von den Versuchen berichtet Dr. Wendt: »Die Wundärzte Herr Illing und Herr Hanisch waren so gütig, abwechselnd den Kopf zu halten und mir auf diese Weise den Versuch sehr zu erleichtern. Ich fasste das Antlitz des Hingerichteten scharf ins Auge und war nicht imstande, die geringste Verzerrung in demselben zu entdecken; sein Gesicht war ruhig, sein Auge offen und hell, sein Mund geschlossen; kein Zug in seinem Gesicht würde den Zustand verraten haben können, in den der Kopf dieses Unglücklichen durch die Trennung von seinem Rumpf versetzt worden war … Ich fuhr mit den Spitzen meiner Finger schnell gegen die Augen, und dieser unglückliche Kopf suchte mit den sich schließenden Augendeckeln der Gefahr, die seinen Augen drohte, zuvorzukommen … Herr Illinghob den Kopf in die Höhe und richtete das Antlitz gegen die auf uns herabscheinende Sonne, und im nämlichen Moment schloss der Kopf das Auge, welches gegen die Sonne gerichtet war. Um zu untersuchen, ob die Tätigkeit im Organe des Gehörs ebenso fortdauere, wie sie in den Sehorganen fortzudauern schien, so rief ich mit erhabener Stimme zweimal den Namen ›Troer‹ in das Ohr des unglücklichen Kopfes, und war es ungefähr, so ist es unstreitig das Merkwürdigste, oder war es die Folge der Empfindung und Vorstellung, so beweist dieser Versuch das meiste: Nach jedem Rufe öffnete der Kopf die sich schließenden Augen, drehte sie sanft nach der Seite, woher der Schall kam, und öffnete dabei einige Male den Mund; in dem Mechanismus dieses Öffnens wollen einige das wirkliche Streben zum Sprechen selbst bemerkt haben.

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