Mords-Bescherung
über die Zeilen
rinnen, aber seine Gedanken waren nicht bei der Sache und stolperten unbeholfen
den Worten nach.
Da, als er bereits nahe daran gewesen war, doch zu kapitulieren,
hörte er hinter sich einen Mantel rauschen und dazu eine Stimme leicht
ärgerlich und mit strengem Ton »Nein, Edward« sagen. Seine Augen folgten dem
Ton und wurden einer Frau in den späten Dreißigern ansichtig, in deren Gefolge
sich ein blasser Junge befand, der kaum zehn, zwölf Jahre zählen mochte und
dessen Blick ihn neugierig anrempelte. Die beiden setzten sich an einen für sie
reservierten Tisch, wo der Knabe, voller Unsicherheit und kindlicher
Befangenheit, kaum seine Verachtung für die Örtlichkeit, die Situation und das
Universum insgesamt zu verhüllen trachtete. Die Frau, und nur für diese hatte
der Jäger ein Auge, war leicht üppig, reif und sinnlich. Ohne Frage hatte sie
ihre Erfahrungen, und der Beobachter konstatierte brodelnde Leidenschaft, die
nur vordergründig hinter einer als vornehm aufzufassenden Melancholie verborgen
wurde. Sie sonnte sich im sicheren Selbstgefühl zahlloser Bewunderung und schien
darob satt und beinahe prahlerisch geworden zu sein. Gerade darum nahm der
Jäger augenblicklich Witterung auf und gestand sich gleichzeitig ein, dass hier
keine leichte Beute auf ihn warten würde. Immer wieder suchte sein Blick den
ihren, doch dieser legte erkennbar keinen Wert darauf, gefunden zu werden. Mit
einer gewissen Enttäuschung registrierte er, dass an eine Bekanntschaft noch am
ersten Abend nicht zu denken war, und umso penibler legte er sich über Nacht
eine Strategie zurecht, wie ihm das Jagdglück doch noch hold sein mochte.
IV.
Am nächsten Morgen, es war der Tag vor dem Heiligen Abend,
sah er in der Halle den Knaben stehen. Scheu, nervös, mit fahrigen Bewegungen.
Nicht wissend, wohin mit sich und seinen Empfindungen. Wahrscheinlich spürte
Edward bereits den sich in seinem Körper anbahnenden Kampf zwischen dem
Männlichen und dem Kindlichen, ahnte, dass in ihm etwas gärte, das er nicht
einzuschätzen noch gar zu beschreiben wusste, nahm Gefühle wahr, die er bislang
noch nicht gekannt hatte, und war wohl gerade deshalb noch verschreckter und
verunsicherter als ehedem.
Verzweifelt hielt der kleine Edward Ausschau nach jemandem, der sich
seiner widmen würde, und an dieser Stelle trat der Jäger auf den Plan. Er hatte
sich betont leger gekleidet und mochte auf den ersten Blick um viele Jahre
jünger wirken, beinahe so, dass nicht bevormundende Patronanz, sondern
egalitäre Kumpanei zwischen ihm und dem Knaben entstehen mochte. Edward machte,
unschlüssig umherirrend, einen recht kläglichen Eindruck, denn er schien allen
im Wege zu stehen, am meisten sich selbst. Der Jäger beobachtete mit wachsendem
Amüsement den unglücklichen Buben, der auf alles hoffnungsfroh und neugierig
zuging und dem dennoch alles unfreundlich entwich. Und als endlich die Trauer
in dem Knaben die Oberhand zu gewinnen begann, da warf der Jäger seine Netze
aus.
»Findest du es auch so abgefuckt hier?«, wandte er sich an Edward.
Der wurde rot und starrte ängstlich auf den Sprecher. Es war
deutlich zu bemerken, dass es Edward nicht gewohnt war, anderen, zumal
erwachsenen Menschen aufzufallen.
»Mir ist langweilig«, maulte er schließlich, wobei das letzte Wort
schon in einem undeutlichen Gurgeln unterzugehen drohte.
»Da sind wir schon zwei«, entgegnete der Jäger und stellte dabei ein
Lächeln zur Schau, das allein schon jede Schlacht gewinnen mochte. Edward aber
zuckte nur mit den Schultern.
»Aber die Langeweile ist etwas, dem man Herr werden kann«, sagte der
Jäger, für diesen Satz große Augen und Unverständnis erntend. Sofort richtete
er seine Sprache wieder auf jene des Knaben ein.
»Palace of Doom, Teil fünf. Die allerneueste Version«, schickte er
der vorherigen Botschaft hinterher.
Und wie erwartet erglühte der Knabe und entrang sich ein nicht enden
wollendes »Cool«.
V.
Der Mittagstisch war bereits in eine gänzlich andere
Szenerie getaucht als das Dinner am Abend zuvor. Als der Jäger leicht verspätet
den Saal betrat, da sprang Edward voller Begeisterung auf, winkte ihm
demonstrativ und zupfte dann seiner Mutter eifrig am Ärmel, hastig und erregt
auf sie einredend und dabei mit auffälligen Gesten auf den Jäger deutend.
Diesmal musste sich sein Blick nicht mehr auf eine Suche begeben, er wurde
bereits mit allen gebotenen Ehren erwartet. Und der Jäger wusste auch, dass
dies nicht nur dem
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