Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Weidinger
Vom Netzwerk:
Umstand geschuldet war, dass er einem verunsicherten Kind
eine kleine Weile der Geborgenheit beschert hatte. Während des Spiels war zwar
nicht viel gesprochen worden, aber der Jäger sah sich danach dennoch gut
informiert. Edwards Mutter befand sich mit dem Sohn am Semmering, weil sie
Abstand zu ihrem Mann brauchte. Edward stellte die Vermutung an, seine Eltern
würden sich scheiden lassen, weil sein Vater mit seiner Sekretärin das getan
hatte, was er ausschließlich mit der Mutter tun sollte, was den Knaben kaum zu
stören schien, denn der Vater interessierte sich nämlich weder für ihn noch für
die Mama, sondern ausschließlich für seine Firma.
    Mit ein klein wenig Verständnis, so überlegte der Jäger, würde er
triumphieren. Nach dem Essen, während sie schon auf den Lift warteten, fühlte
sich die Mutter bemüßigt, das überschäumende Temperament des Sprösslings
entschuldigen zu müssen, doch der Jäger wehrte ab und meinte nur, es sei so
wunderschön, ein wenig Zeit mit einem jungen Mann zu verbringen, zumal er hart
an einer schmerzlichen Trennung arbeiten müsse, die ohne Edwards Gesellschaft
sein Gemüt verdunkeln würde. Der Junge wuchs vor Stolz zu mannhafter Größe,
während die Mutter den Kopf leicht seitlich neigte, um den Jäger erstmals auch
mit anderen Augen zu sehen.
    VI.
    Die Begeisterung des Jungen kannte keine Grenzen, als der
Jäger der Mutter offerierte, mit ihrer Erlaubnis den Sohnemann zum
Eisstockschießen mitzunehmen. Das sei, so erklärte er dem Knaben, wie
Computerspielen, nur in echt. Er zeigte Edward, wie er sich anstellen musste,
um größtmöglichen Erfolg zu erzielen, und während der Jüngling ganz in seiner
Aufgabe aufging, schielte der Jäger immer wieder zur Mutter hin, deren Herz nun
gewillt schien, sich gewinnen zu lassen.
    Das Abendessen nahm man bereits an einem gemeinsamen Tisch ein, und
der Jäger berichtete, verhalten, aber kontinuierlich, von seinen Reisen, die
ihn in entfernteste Länder geführt und ihm die Bekanntschaft der
absonderlichsten Menschen und Gegenden eingebracht hätten, und der Junge
lauschte mit roten Ohren den Geschichten, hing an den Lippen des, wie er
meinte, älteren Freundes, der sich zunehmend darin sonnte, dass auch die
Hörorgane der Mutter an Farbe gewannen. Er war immer schon ein begabter,
bildreicher Erzähler gewesen, doch an diesem Abend übertraf er sich selbst.
Keine Fernsehdokumentation, und wäre sie auch noch so aufwendig gedreht
gewesen, hätte mit ihm mithalten können, und am Ende hielt sein Publikum mit
pochenden Herzen den Atem an, während er sich einem Wortrausch ergab, der seine
Zuhörer süchtig machte.
    Nach Äonen erst unterbrach ihn erstmals die Mutter, nachdem sie kurz
auf ihre Uhr geblickt hatte. »Zeit, schlafen zu gehen, Edward.«
    Edward war, als hätte ihm jemand ein Schwert in den Leib gerammt.
Wie für alle Kinder war auch für ihn nichts demütigender, als ins Bett
geschickt zu werden, weil es vor den Erwachsenen auf das ureigene Stigma des
Kindseins verwies. Und diese Schmach wirkte umso schwerer, da sie ihn in den
Augen des Freundes der Gleichheit beraubte. Edward wünschte zu sterben in
diesem Augenblick.
    Doch welch noble Geste des Freundes! Er war es, der herzhaft gähnte
und sich erhob. »Wie wahr! Der Tag war lang und hat müde gemacht. Ich darf mich
zurückziehen und allseits eine Gute Nacht wünschen. Ich will ja schließlich
ausgeruht sein, wenn wir morgen gemeinsam den Semmering unsicher machen.« Dabei
lächelte er Edward verschwörerisch zu.
    Dem war, als hätte er eben eine Goldmedaille gewonnen. Er sprang von
seinem Sitze auf, umarmte stürmisch den Älteren und eilte dann mit selig entrücktem
Antlitz aus dem Saal, verfolgt von einem liebevollen Blick der Mutter.
    »Sie sind so ungemein nett zu ihm. Sie können sich gar nicht
vorstellen, wie sehr Edward das braucht.«
    »Ich bitte Sie, Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich das
brauche. Ich habe mir immer einen Sohn gewünscht, doch … sie … ach, es ist
besser, wenn ich jetzt gehe.«
    »Aber warum denn so eilig. Da sitzen wir, zwei Sitzengelassene, und
kämpfen gegen unser Schicksal an. Ist es da nicht vernünftiger, die einzeln so
schwachen Kräfte zu vereinen?«
    Wahrscheinlich hatte sie selbst nicht gewusst, woher sie diese
Kühnheit genommen hatte, doch der Jäger ließ sich umstimmen. Wenig später war
man beim vertrauten »Du« und auf Erkundung. Was eben noch mit Worten und
Wendungen erfolgt war, das trug sich bald schon

Weitere Kostenlose Bücher