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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Weidinger
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die Kinnlade herunter. Zum Glück
hatte ich mich aber sofort wieder im Griff. Nicht nur weil Rentiere mit
heruntergeklappten Kinnladen extrem dämlich aussehen, sondern weil ich ihn in
dem Glauben lassen wollte, dass ich bei dieser Aussage keinen Verdacht
geschöpft hatte. »Nun ja, ich muss weiter«, sagte ich daher mit Unschuldsmiene.
»Aber viel Glück beim Suchen«, fügte ich noch hinzu, ehe ich davonflog.
    Nicht der falsche Hase, sondern der falsche Weihnachtsmann war also
der Täter. Und hieß es nicht immer, dass der Täter an den Ort des Verbrechens
zurückkehrte?
    Wie ein Schatten folgte ich dem Kerl, als er sich, natürlich ohne
seine Mütze gefunden zu haben, wieder auf den Heimweg machte. So führte mich
der Christnapper direkt in sein Versteck, einen alten, verfallenen Bauernhof.
Dort fand ich das Christkind, verschnürt wie eines der Weihnachtspakete, das es
sonst selbst brachte. Bewacht wurde es von einer Kuh und einem Esel, die beide
im Stall standen und an ihrem Futter kauten. Ich fragte mich, ob das Christkind
wohl ein Déjà-vu-Erlebnis beim Anblick der beiden Heu mampfenden Viecher hatte.
Natürlich verbot mir mein Anstand, diese Frage laut zu stellen. Stattdessen
streckte ich den Christnapper mit einem Rentier-Kung-Fu-Schlag der
Spitzenklasse zu Boden, verschnürte ihn zu einem Paket und befreite das
Christkind in einer Geschwindigkeit, bei der mir selbst schwindelig wurde. Dann
flog ich mit beiden, so schnell es eben ging, zum Nordpol.
    Dort wurde der Christnapper, der in Wirklichkeit Horst Heidelberg
hieß, von der Spezialeinheit der ICF aufs
Schärfste verhört. Dass ich dieses Verhör leitete, brauche ich wohl nicht extra
zu erwähnen. Zuerst faselte er noch etwas von seinen Rechten, die ihm laut
seines Vertrags der Gewerkschaft für falsche Weihnachtsmänner angeblich
zustanden. Doch nach einem nervenaufreibenden Verhör, bei dem ich mit einem
Kollegen das altbewährte Spiel »gutes Rentier, böses Rentier« gespielt hatte,
gestand er alles. Er gestand sogar Dinge, nach denen wir gar nicht gefragt
hatten und die Sie, das können Sie mir wirklich glauben, nicht wissen wollen.
Geplant war diese Tat allerdings nicht gewesen. Es hatte sich eher um ein
Gelegenheitschristnapping gehandelt. Denn eigentlich war Horst Heidelberg auf
dem Heimweg zu seinem Bergbauernhof gewesen. Und als er da so in seinem
Weihnachtsmannkostüm durch den Schnee dahingestapft war, war ihm plötzlich das
leicht bekleidete Kind mit dem goldenen Haar und dem verstauchten Flügel
aufgefallen, das mutterseelenallein im Schnee saß und bereits ziemlich
unterkühlt war. Diese Gelegenheit ließ sich Horst Heidelberg natürlich nicht
entgehen. Er christnappte das arme Geschöpf. Leider war Horst Heidelberg nicht
der Schlaueste, und so stand er bald vor einem ziemlichen Problem. Er hatte zwar
das Christkind gechristnappt. Doch nun wusste er nicht, an wen er die
Lösegeldforderung stellen sollte. Die nette Dame bei der Kummernummer, die er
um Rat gefragt hatte, hatte ihm auch bloß geraten, die Finger vom Glühwein zu
lassen. So war er beinahe dankbar gewesen, als wir ihn, dank meiner Hilfe, zur
Strecke gebracht hatten.
    Lange Rede, kurzer Sinn. Das Weihnachtsfest konnte schließlich doch
noch stattfinden. Denn die Weihnachtselfen schafften es, den Flügel des
Christkindes fix wieder zusammenzuflicken, und der Weihnachtsmann wurde aus der
Untersuchungshaft entlassen. Vollständig genesen und rehabilitiert, konnten die
beiden dann doch noch rechtzeitig losziehen, um ihren Auftrag zu erledigen,
jeder in seinem Revier natürlich. Das Christkind besuchte danach für einige
Monate eine Selbsthilfegruppe für Entführungsopfer, die von irgendeinem
Fernsehdoktor mit zweifelhaftem Ruf geleitet wurde. Der Weihnachtsmann dagegen
besuchte Horst Heidelberg regelmäßig im Nordpolknast, wo dieser gerade dabei
war, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Stellen Sie sich bloß vor, sogar
die Filmrechte dafür hatte der einstige Christnapper bereits erfolgreich
verkauft. Und ich wurde in den Stand eines Leutnant-Inspektors erhoben und bin
seither im Weihnachtsdezernat als der Inspektor bekannt, der Verbrechen
aufklärt, die es gar nicht geben dürfte.
    Nun ja, und wenn Sie, lieber Leser, diese Geschichte glauben, dann
sind Sie selbst schuld. Ich wünsche Ihnen jedenfalls ein frohes Weihnachtsfest,
    Ihr Leutnant-Inspektor Rudi Rednose

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