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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Weidinger
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Minuten rasteten die weißen Waggons in der silbrigen Sonne,
warfen ein paar bunte Menschen aus und saugten andere dafür ein. Stimmengewirr,
bizarre Bewegungen, ein Stoßen und ein Rempeln und plötzlich wieder Ruhe.
Geräuschlos hatte sich die Zuggarnitur in den nächsten Tunnel gepirscht,
während das Bahnhofsgelände alsbald jungfräulich, still und vom nassen Wind
leer gefegt in der malerischen Landschaft lag.
    Weiße Wolken zogen über das Terrain hinweg. Jene unruhigen Gebilde,
die nur der Winter hat. Diese flattrigen Gesellen, die spielend über die graue
Bahn jagen, um sich unerwartet hinter den Bergen zu verstecken. Die sich
umarmen und voreinander fliehen, sich bald wie Taschentücher zerknüllen, bald
wie Decken ausbreiten, sich zerfasern und vereinen, um schließlich aus lauter
Schabernack den Gipfeln weiße Mützen aufzusetzen.
    Unruhig war auch der Wind, der die kahlen Bäume bedrängte und sie so
unbändig schüttelte, dass sie leise in den Gelenken krachten und seufzend
ächzten, als erbäten sie den Beistand mildtätiger Seelen. Aus den Bergen kam
der Duft von Schnee herüber und drang den Besuchern der Gegend in die Glieder.
Dann spürten sie im Atem etwas, das süß und scharf war zugleich. Alles schien
in Bewegung, eine gärende Ungeduld, die um die Sehnsüchte und Hoffnungen der
Menschen am Berg oszillierte.
    II.
    Unter den Neuankömmlingen befand sich ein
Investmentbanker, und da er finanziell gut situiert war, es sich also leisten
konnte, stieg er im besten Hotel am Platz ab und studierte aufmerksam die Riege
der anderen Gäste. Zu seiner nicht geringen Enttäuschung mochte sich niemand
darunter finden, der seine Aufmerksamkeit erweckte. Wozu bin ich eigentlich hier,
begann es unruhig in ihm zu fragen, allein hier oben auf diesem Berg, das ist
ja schlimmer als im Büro. Der Mann verfluchte innerlich sein hartes Los.
Niemals habe ich Glück mit meinem Urlaub, immer komme ich zu früh oder zu spät.
Dabei verlange ich doch nichts Unbilliges. Irgendeinen kleinen, im Notfall
sogar arglosen Flirt, um die Weihnachtsfeiertage nicht gar zu trostlos zu
verbringen.
    Verstimmt ging er in der Hotellobby auf und ab, bald unschlüssig in
irgendwelchen Magazinen blätternd, bald halbherzig dem Klavierspieler
lauschend, der irgendwelche sentimentalen Melodien klimperte, die niemandem
auffielen, die weder ge- noch missfielen. Schließlich setzte er sich verdrossen
hin, schaute aus dem großen Fenster und beobachtete, wie das Dunkel langsam niederfiel,
wie der Nebel grau aus den Fichten brach. Eine Stunde oder mehr zerbröselte so
um ihn, sinn- und nutzlos, ehe er entnervt in den Speisesaal flüchtete.
    Dort waren erst ein paar Tische besetzt, die er alle mit eiligem
Blick überflog. Vergeblich. Kein einziges vertrautes Gesicht. Nur hie und da
eine neugierig aufsehende Gestalt, der er ein Nicken schickte, um dadurch
vermeintliche Bekanntschaft zu insinuieren, damit der Saal nicht glauben
mochte, hier habe eine bedeutungslose Erscheinung den Raum betreten.
    Doch sein Ärger war dadurch nicht zum Weichen zu veranlassen. Keine
Frau, kein junges oder auch etwas älteres Ding, das auch nur das flüchtigste
Abenteuer versprach. Voll Missmut verzehrte er seine glasierte Tomatensuppe,
die ihm so bitter schmeckte wie die Einsamkeit, die ihn umfangen hielt.
    III.
    Mit einer leichten Verächtlichkeit hätte man ihn einen
Frauenjäger nennen können. Doch dabei übersah man völlig, wie viel Wahrheit in
diesem Worte eingegraben war, denn tatsächlich waren es die leidenschaftlichen
Instinkte der Jagd, die Männer wie ihn antrieben. Das Aufspüren, das
Nachstellen und schließlich das Zur-Strecke-Bringen der Beute. Männer wie er
waren ununterbrochen auf dem Hochstand, immer bereit und entschlossen, die Spur
eines Abenteuers bis hart an den Abgrund zu verfolgen. Nichts vermag solche
Männer zu überraschen, weil sie im Voraus ihre Chancen abwägen, alles
einkalkulieren und eiskalt berechnen, weil sie alles beobachten und nichts
übersehen. Und wie der Jäger schätzen sie das Objekt ihrer Begierde erst ein,
überlegen, welcher Weg den gewünschten Erfolg verheißt, und wählen danach die
Art der Waffe, mit der sie zu ihrem Ziele gelangen können.
    Ein solcher Jäger war nun unser Mann, der daher auch nicht willens
war, sich allzu schnell geschlagen zu geben. Nach dem Mahl rief er daher nach
einer Zeitung, wild entschlossen, im Speisesaal auszuharren, bis der Tag
unwiderruflich Geschichte war. Mürrisch ließ er seinen Blick

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