Mords-Bescherung
Bauherren die nötigen
Formalitäten abzuwickeln. Und dann waren Toni und sein Vater eines Tages bei mir
im Büro gestanden. Allein hatte er sich offensichtlich nicht getraut, seinen
Antrag auf Baubewilligung bei mir abzugeben. Das lag nun zwei Jahre zurück,
zwei lange Jahre, in denen sich an meiner Situation nicht das Geringste
geändert hatte. Sosehr ich auch versuchte, mit Hilfe von Fachbüchern und CD s über ihn hinwegzukommen, es fruchtete nichts. Ich
besuchte sogar eine Selbsthilfegruppe für betroffene Frauen in meiner Lage. Ja,
so etwas gibt es tatsächlich. Schließlich trachtet jeder Mensch nach ein bisschen
Seelenfrieden, und es macht niemandem Spaß, sich von seinem Herzenskummer ein
Loch in die Seele fressen zu lassen. Aber auch das half nicht. Der Schmerz
bohrte weiter in mir, während ich tagtäglich lachenden Gesichtes die Rolle
spielte, die meine Umgebung mir zugedacht hatte. Bis mir endlich dämmerte, dass
der Schmerz von allein auch nie aufhören würde. Das passierte in Wien, wo ich
das Musical »Elisabeth« besucht hatte. Und auf der Heimfahrt im Zug, irgendwo
zwischen Linz und Salzburg, wusste ich plötzlich, was zu tun war. Danach hatte
ich umgehend mit der Planung begonnen, bis ich schließlich an jenem eisigen
Donnerstag im Dezember aufbrach. Ich trug einen alten Lodenumhang von Toni und
dazu seinen Hut, den ich tief ins Gesicht ziehen konnte. Außerdem hatte er mir
voller Begeisterung einen alten grauen Militärrucksack mit Lederriemen
angeschleppt und es zutiefst bedauert, mich nicht begleiten zu können. Das war
natürlich das Letzte, was ich gebrauchen konnte, aber das verriet ich ihm
nicht. Stattdessen ermunterte ich ihn, wie jeden Donnerstag zu seinem
rotarischen Herrentreffen zu gehen und anschließend zu mir zu kommen, um mein
Bett vorzuwärmen, sofern er sich von zu Hause loseisen könne. Außerdem schützte
ich eine Bekannte aus dem Nachbarort vor, die angeblich überlegte, mich zu
begleiten. So begnügte er sich schließlich damit, mir den Text des
Anklöpflerliedes beizubringen und das Wesen des Brauches zu beleuchten, der
sogar zum Immateriellen Weltkulturerbe erklärt worden ist. Was immer das sein
mag. Toni zeigte sich jedenfalls sehr beeindruckt, und ich bemühte mich
redlich, seine Begeisterung glaubhaft zu teilen. Als ältester Sohn einer
alteingesessenen Handwerkerfamilie hatte er den Sinn für Traditionen bereits
mit der Muttermilch aufgesogen und nach einer kurzfristigen pubertären
Ablehnungsphase begonnen, sie selbst aktiv mitzutragen. Ich weiß, dass ihn
meine völlige Unbeschlagenheit in diesen Dingen von Anfang an gestört hat, aber
ich war noch in der DDR Kind gewesen, und nach
der Wende hatten wir wahrhaft andere Sorgen als Brauchtumspflege. Als ich dann
zum Arbeiten nach Tirol kam, hätte ich es zu Anfang niemals gewagt, im Dirndl
und mit meinem sächsischen Dialekt im hiesigen Trachtenverein aufzukreuzen. Und
später war Tonis Frau da, und kein Platz mehr für uns beide. Trotzdem freute
sich Toni wie ein Kind, als ich ihm eröffnete, anklöpfeln gehen zu wollen. Mir
schien, als interpretierte er meine Geste als Liebesbeweis, was es in gewisser
Weise ja auch war, aber eben anders, als er dachte. Es lagen schwere Monate
hinter uns, in denen es immer wieder heftig gekriselt hatte. Besonders nachdem
er mir die Schwangerschaft seiner Frau gebeichtet hatte. Danach hatte ich einen
ernsthaften Versuch gestartet, ihn nie mehr wiederzusehen. Bebend war ich
hinter meiner Wohnungstür gekauert und hatte auf seine Schritte im Treppenhaus
gelauscht. Aber um ehrlich zu sein – ich blieb nur zweimal standhaft. Dann
öffnete ich meine Tür, versuchte, seine jämmerlichen Ausreden zu überhören, und
ließ mich in seinen Armen treiben, wie ich es seit sechs Jahren tat. Dabei
hätte ich ahnen müssen, dass es noch schlimmer kommen würde. Die
alteingesessene, traditionsbewusste Handwerkerfamilie hatte nämlich heftige
Einwände gegen ein uneheliches Kind, weshalb Tonis Vater ein Machtwort sprach,
zusammen mit seinem Sohn bei mir um eines der Neubauhäuser ansuchte und einen
Hochzeitstermin fixierte. Toni schaffte es nicht, gegen seinen Vater
aufzubegehren. Wie in Trance lief er durch die Gegend, und dabei tat er mir
auch noch leid! Der Ärmste! Der es aus irgendeinem unerfindlichen Grund all die
Jahre undenkbar gefunden hatte, mit einer Ossi-Braut aus Sachsen bei seinen
Eltern aufzutauchen und offen zu bekennen: Ich liebe diese Frau, und ich will
mit ihr mein Leben verbringen.
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