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Mords-Bescherung

Mords-Bescherung

Titel: Mords-Bescherung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Weidinger
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Stinkmoosalm. An manchen Stellen ging es an die hundert Meter
in die Tiefe. Einen Sturz dorthinab konnte kein Mensch überleben. Dieser Steig
war bestens geeignet, sein mörderisches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Es galt
nur ein Hindernis zu überwinden. Wenn Agathe etwas noch mehr hasste als
Skifahren, dann war es im Gebirge wandern. Aber ihm würde schon etwas
einfallen, um ihr einen Spaziergang ins Schönachtal schmackhaft zu machen. Zu
seiner Überraschung willigte sie sofort ein, als er ihr beim Frühstück den
Vorschlag unterbreitete, das frühlingshafte Wetter für eine Wanderung zu
nutzen. Doch seine anfängliche Freude schlug schnell in Enttäuschung um, denn
zur Alm führte nicht, wie er erwartet hatte, ein steiler Steig, sondern ein
breiter Talweg. Offenbar hatte ihm seine Erinnerung, was die Beschaffenheit des
Pfades anbelangte, einen Streich gespielt. Außerdem waren sie nicht die
Einzigen, die in Ermangelung des Schnees die Ski- mit den Wanderschuhen
getauscht hatten. Die Landstraße in Linz konnte an diesem Adventssamstag nicht
bevölkerter sein als dieser Weg. Der Grund, warum fast alle Gäste des Ortes
dieses Tal für eine Wanderung gewählt hatten und nicht eines der anderen,
immerhin gab es in Gerlos vier weitere Seitentäler, die für einen gemütlichen
Spaziergang weitaus geeigneter waren als das Schönachtal, offenbarte sich, als
sie nach gut einer Stunde die Stinkmoosalm erreichten. Vor der Jausenstation
wurde nämlich eine Tiroler X-mas-Party gefeiert. Ein Blechbläserquartett in
Weihnachtsmannverkleidung gab volkstümliche Lieder zum Besten. Der Hüttenwirt
trug ein Rentiergeweih auf dem Kopf und servierte frisch gebackene
Bauernkrapfen und Jagatee, wobei er das Getränk mit einem dumpfen »He, he, he,
bei uns gibt’s den besten Jagatee« anpries. Die Erkenntnis, dass alles, was er
geplant hatte, umsonst gewesen war und er am nächsten Tag wohl mit Agathe
wieder unverrichteter Dinge nach Hause zurückfahren würde, stürzte ihn in
größte Verzweiflung. Deprimiert ließ er sich auf eine Bank abseits des Trubels
nieder und brütete düster vor sich hin. Die Getränke, die ihm der Wirt auf den
Tisch stellte, schüttete er wie Wasser hinunter. Nach einer Stunde war er so
betrunken, dass er bedenklich wankte, als er die Toilette aufsuchte.
Mittlerweile hatte sich der Himmel verfinstert, schwarze Wolken jagten über den
Horizont. Wohl um auf das drohende Unwetter aufmerksam zu machen, intonierten
die Musiker »Vom Himmel hoch, da komm ich her«. Kaum war der letzte Takt
verklungen, erklärte der Wirt die Party für beendet und drängte die Gäste
aufzubrechen, wollten sie ohne Schwierigkeiten nach Gerlos zurückgelangen.
Plötzlich hatten es alle eilig. Nur er blieb sitzen und rührte sich nicht vom
Fleck. Ungeduldig forderte ihn Agathe auf, sich den letzten Gästen
anzuschließen. Als er nicht reagierte, zog sie ihn hoch und wies mit der Hand
auf den Arbiskogel in seinem Rücken, um ihn auf den Wetterumschwung aufmerksam
zu machen. Er wandte sich langsam um und starrte auf den mächtigen Berg, dessen
Gipfel bereits hinter einer dichten Wolkenbank verborgen war. Ein Lächeln
breitete sich auf seinem Gesicht aus. Vor Jahren war er von Gmünd aus auf den
Arbiskogel und über die Lackengrubenalm und das Schönachtal zurück nach Gerlos
gewandert. Höchstens zehn Minuten von der Stinkmoosalm entfernt befand sich ein
schroffer Felsvorsprung, der steil in die Tiefe führte. Dieses Mal war er sich
sicher, dass ihn seine Erinnerung nicht trog. Der Platz war wie geschaffen, um
einen anderen hinabzustoßen. Auch die Gefahr, dabei beobachtet zu werden, war
denkbar gering, weil alle Spaziergänger aufgrund des nahenden Unwetters
talauswärts strebten.
    Er atmete einmal tief durch, ehe er sich zu Agathe umdrehte.
    »Du hast recht, wir sollten allmählich zurückgehen. Vorher würde ich
dir aber noch gern einen der schönsten Plätze des ganzen Zillertals zeigen.«
    Ihren Einwand, dass sie schon etwas müde sei und das Wetter keine
weitere Wanderung mehr zulasse, wusste er zu zerstreuen.
    »Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen. Wer weiß, ob du
jemals wieder mit mir hierherkommst. Die Stelle liegt höchstens zehn Minuten
entfernt und wird dir für immer und ewig im Gedächtnis haften bleiben.«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, setzte er sich in Bewegung. Sie trottete
unwillig hinter ihm her. Der Anstieg war steiler, als er ihn in Erinnerung
hatte. Er konnte nur hoffen, dass Agathe nicht schlappmachte,

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