Mords-Bescherung
spielte das Wetter,
so schlecht es auch sein möge, keine Rolle. Versteckt und nur von Eingeweihten
zu finden, lag der schmale Eingang des Tals von der Landseite eingekeilt
zwischen zwei Felsvorsprüngen. Der eigentliche Zugang lag zwar unter gut
anderthalb Metern Schnee begraben, aber die starken hydraulischen
Hebevorrichtungen hatten keine Mühe, die Schneelast nach oben zu befördern,
wenn eine neue Lieferung an Material herangekarrt wurde oder bereits fertig
produzierte Überraschungen ins Zwischenlager verbracht wurden.
In diesem Tal lag die Weihnachtsgeschenkeproduktionsstätte, die für
das östlich von Salzburg gelegene Österreich zuständig war. Sie war weitaus
größer und leistungsfähiger als die Filialen in Tirol und Kärnten, immerhin
musste auch der Großraum Wien mit seinen knapp zweieinhalb Millionen Menschen
versorgt werden.
Seit gestern Abend stand die Produktion jedoch still.
Denn es hatte einen Toten gegeben.
»Niemand mischt sich in die Angelegenheiten meiner Filiale«,
rief der für die Sektion östliches Österreich zuständige stellvertretende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter ungehalten. »Ich bin hier der Chef.
Und ich lasse mir von niemandem hineinreden. Selbst wenn es einen Toten gegeben
hat!«
Der gerade von der Zentrale am Nordpol eingetroffene
Untersuchungsbeamte kratzte sich unter seiner blauen Mütze, die man ihm in
Anlehnung an die Dienstkleidung der österreichischen Gendarmerie verpasst
hatte. Ihm war vor Beginn der Mission gesagt worden, dass die Österreicher
schwierig wären und er sich nichts gefallen lassen solle.
»Ich will mich ja auch gar nicht einmischen«, antwortete der junge
Mann bestimmt, »nur sollten Sie bedenken –«
»Schluss jetzt«, blökte der stellvertretende Filialleiter den
Fremden an. »Ich habe Sie nicht hergebeten, meinetwegen können Sie gleich
wieder dahin verschwinden, woher Sie gekommen sind. Und zwar auf der Stelle.«
»So geht das aber nicht«, wurde der fremde junge Mann energischer.
»Immerhin wurde gestern der leitende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter erschlagen aufgefunden. Stellen Sie
sich doch nur den Skandal vor, wenn das herauskommt. So kurz vor dem Fest!
Nicht auszudenken, wie die Reaktion draußen im Lande wäre. Und generell
überhaupt.«
»Es war ein Unglück«, behauptete der stellvertretende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter ebenso nachdrücklich wie
verzweifelt. »Er hätte halt seinen Schutzhelm tragen müssen, als er durch das
Zwischenlager gelaufen ist. Dann wäre ihm garantiert nichts passiert. Na ja,
eine Beule vielleicht, aber er würde sicher noch leben.«
»Genau«, schaltete sich der Assistentenwichtel des stellvertretenden
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiters ein. »Der Neue war noch nicht
lange bei uns, er hatte sich noch nicht an die Gepflogenheiten hier in
Österreich gewöhnt. Immer wieder haben wir ihm gesagt, ›Chef, setzen Sie einen
Helm auf, wenn Sie auf dem Betriebsgelände unterwegs sind‹. Sogar auf Spanisch
haben wir ihm das ständig gesagt, falls er uns noch nicht so gut verstehen
sollte. Aber er hat immer nur gelächelt, ›Guantanamera‹ gesummt und hat sich um
nichts gekümmert, was wir ihm gesagt haben.«
»Also ist er selbst schuld?«, fragte der junge Mann in der blauen
Phantasieuniform schmunzelnd, die man ihm zu seiner unbequemen Mütze ebenfalls
verordnet hatte.
»Das kann man wohl so sagen«, seufzte der stellvertretende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter bedauernd und nahm den jungen Mann
am Ellbogen, um ihn sanft, aber doch bestimmend in Richtung Ausgang zu
dirigieren. »Am besten sagen Sie dem Chef, wie das hier mit dem Unfall passiert
ist und dass er sich keine Sorgen machen muss, wir haben alles im Griff. Noch
heute läuft die Produktion wieder an, wir machen sogar Überstunden, um die
verlorene Zeit wieder reinzuholen.«
»Genau«, rief der Gewerkschaftswichtel aus dem Hintergrund. »Das ist
abgestimmt, sowohl die tarifliche Vertretung der Wichtel, der Zwerge und auch
die der Elfen war dafür. Wir kriegen das hin!«
»Sehen Sie«, beruhigte der stellvertretende
Weihnachtsgeschenkeproduktionsstättenleiter und zog den jungen Mann noch etwas
energischer mit sich. »Alles in bester Ordnung. So ein Unglück passiert nun
mal. Grüßen Sie den Chef von uns, wir sehen uns ja dann nach Weihnachten auf
der Generalversammlung. Wenn Sie sich beeilen, schaffen Sie noch den nächsten
Transporter zurück.«
»Schluss jetzt«, rief der
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