Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
klingelte.
»Haarmann hier. Ich habe Ihre Telefonnummer von Kommissar Veitlinger«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. Er sei der Leiter des Untersuchungsgefängnisses und müsse ihm mitteilen, dass der Untersuchungshäftling Karl Erdhammer versucht habe, sich das Leben zu nehmen.
»Um Gottes willen, und?«
»Wir haben ihn rechtzeitig vom Heizungsrohr abschneiden können«, sagte der Direktor. Ein Mitgefangener habe die Aufsichtsbeamten alarmiert. Da der Mann mit Ohrstöpseln schlafe, habe er zunächst nichts mitbekommen.
»Ein Schuldeingeständnis?«, fragte Gabriel.
»Ist so eindeutig nicht zu sagen. In seinem Abschiedsbrief schreibt er, dass er wohl der Täter sein müsse, auch wenn er sich an die Tat nicht erinnere.«
»Aber warum, verflucht noch mal, wollte er sich denn umbringen?«
»Er beruft sich auf Sie.«
»Auf mich?«, fragte Gabriel ungläubig.
»Er nennt Sie ›Polizeipräsident‹ und schreibt, Sie seinen ein vertrauenswürdiger Mensch. Und dass man Ihnen Glauben schenken müsse. Er könne nicht damit leben, für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich zu sein.«
»Scheiße«, sagte Gabriel.
»Er liegt jetzt auf der Krankenstation und hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er es wieder versuchen wird.«
»Stellen Sie den Mann unter lückenlose Beobachtung«, sagte Gabriel. »Er darf keine Möglichkeit haben, sich ein zweites Mal aufzuknüpfen.«
Einen Augenblick lang erwog er, für die sofortige Entlassung des Obdachlosen zu sorgen. Aber es war nun einmal nicht völlig geklärt, was genau er mit Berkens’ Tod zu schaffen hatte. Und da er keinen festen Wohnsitz hatte, konnte man ihn schlecht im Auge behalten. Außerdem, was sollte den Mann hindern, sich trotz der wiedergewonnenen Freiheit nicht doch noch aufzuknüpfen? Er musste mit diesem bayerischen Sturkopf reden. Und zwar bald.
Nein, Karl Erdhammer passte nicht als Täter. Keine Blutspuren an der Kleidung, keine auffälligen Verunreinigungen unter den Fingernägeln. So jedenfalls lautete das Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung, das ihm der Kollege Veitlinger inzwischen durchgegeben hatte. Und dann noch die sauber gefaltete Kleidung in der Plastiktüte …
So bitter es war, es konnte sein, dass seine, nun ja, robuste Verhörstrategie einfach nicht zu diesem Menschenschlag passte.
Eine Stunde später traf er sich mit Sandra vor dem ehemaligen TÜV -Gelände. Gabriel brach das Polizeisiegel auf und schob seine Assistentin in den schummrigen Raum.
»Und was suchen wir?«, fragte sie.
»Das wird uns schon noch einfallen.«
»Die Kollegen von der Spurensicherung haben bestimmt jeden Karton und jedes Blatt Papier umgedreht.«
Gabriel antwortete nicht, sondern knipste das Licht an. Verschiedene Gerätschaften, aber auch das Notebook und einige Aktenordner hatten die Kollegen mitgenommen.
Gabriel setzte sich an den Schreibtisch und sah sich um. Er stellte sich vor, wie Berkens an seinen Apparaten herumschraubte und tüftelte. Kein Telefon. Die Metallregale waren ebenso sauber gewischt wie der Labortisch, auf dem ein Bunsenbrenner und Reagenzgläser standen. Sandra zog die Bücher zum Thema Brauwesen aus den Regalen und blätterte sie durch.
Drüben vor dem Sprossenfenster, das wegen seiner mit groben Farbstrichen überpinselten Scheiben kaum Licht hindurchließ, entdeckte er ein Fernglas. Wozu brauchte jemand, der in einer Werkstatt mit blinden Scheiben saß, ein Fernglas? Mutter rappelte sich von ihrem Liegeplatz neben dem Schreibtisch hoch, sah ebenfalls zum Fenster und wieder zu Gabriel.
»Und wenn Berkens’ Tod gar nichts mit alldem hier zu tun hat?«, fragte Sandra.
»Möglich.«
»In dem Fall suchen wir an der falschen Stelle.«
»Der Mann hat hier gehockt und in seiner Zauberküche etwas zusammengerührt. Wir müssen wissen, was in ihm vorging, was genau er ausbrütete.«
Gabriel erhob sich vom Bürosessel und ging zum Fenster. Er nahm das Fernglas in die Hand und drehte es. Kaum Gebrauchsspuren, kein Staub. In einem Regal entdeckte er die Verpackung.
»Was hast du dir angesehen?«, sagte Gabriel.
Sandra klappte ein Buch zu, das sie durchgeblättert hatte, und stellte es zurück ins Regal.
»Technisches Zeug. Meine Güte, vielleicht hatte der Mann einfach einen Knall. Ist an dieser Schnapsidee verrückt geworden. Alte Brauverfahren, moderne Technik … vielleicht eine fixe Idee.«
Gabriel wischte über die Scheiben und besah sich seine Fingerkuppen. Beim dritten Fenster entdeckte er etwas Kalk
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