Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
was den aber gar nicht interessierte. Mutter begann, mit den Vorderpfoten im Morast am Ufer zu wühlen, und steckte dabei ihre Schnauze in den Boden. Gabriel beschloss, sie nachher einfach unter die Brause zu stellen.
»Bist du jetzt mal fertig?«, fragte er. »Komm, ich hab Hunger, und du sicher auch.«
Mutter bellte und grub weiter, bis sie etwas aus dem Schlamm zerrte, was sich als Rucksack entpuppte. Gabriel nahm ihn ihr ab, öffnete die Verschlüsse und fand ein Portemonnaie, einen Schlüsselbund und eine zusammengerollte Strickjacke. Er öffnete die Geldbörse und hoffte, einen Hinweis auf den Besitzer zu finden. Aber es befanden sich darin weder EC - noch Kreditkarte noch irgendwelche Ausweise, die ihm weiterhelfen konnten. Er sah sich um und bemerkte hinter sich einen Picknicktisch mit zwei Bänken. Wahrscheinlich hatte ein Wanderer den Rucksack vergessen, und er war wie auch immer in den Teich geraten. Oder Mutter hatte ihn vorhin selbst hineinbefördert, was Gabriel wegen der hohen Schilfgräser nicht gesehen hatte.
Er beschloss, den Rucksack mit zur Pension zu nehmen und ihn später den Kollegen auf der örtlichen Wache zu über geben. Die sollten nach einem möglichen Besitzer suchen. Aber zuvor musste er sich um seine nassen Füße kümmern und um den Hund, der immer noch in der Erde herumwühlte.
Schnell griff er nach der Leine und zerrte den Labrador vom Ufer weg.
Kurze Zeit später saß er am Tresen im Wirtsraum der Pension »Zur schönen Aussicht«. Hier gab es genau zwei Gästezimmer, in einem wohnte er, das andere war nicht belegt. Die Pension machte ihrem Namen wirklich keine Ehre, denn anstatt auf Wiesen oder sonst was Schönes schaute man, wenn man aus dem Fenster sah, auf einen stillgelegten Schlachthof.
Im Wirtsraum gab es gutbürgerliches Essen und so große Portionen, dass einem schwindelig werden konnte. Hinter dem Tresen stand Alfred, der ungefähr sechzigjährige Wirt, und in der Küche brutzelte seine Frau Berta. Auch jetzt im Hochsommer gab es Schnitzel mit Bratkartoffeln oder Knödeln, Rouladen oder Schweinebraten mit Kartoffeln in einer unglaublich herrlichen braunen Soße. Obwohl er hungrig war, hätte sich Gabriel gern einen Kinder- oder Seniorenteller bestellt, aber so was gab es hier nicht. Also orderte er das Tagesgericht, Frikadellen, die hier Pflanzerl hießen, Bratkartoffeln und ein Erbsen-Möhren-Gemisch. Eins musste man Berta lassen: Kochen konnte sie. Bratkartoffeln waren, wie Gabriel fand, eines der schwierigsten Gerichte, sie mussten innen weich und außen knusprig sein, und das bekamen die wenigsten hin. Er auch nicht. Berta behauptete, das liege an ihrem Butterschmalz. Aber auch ihre Fleischgerichte waren der Hit. Gabriel wusste jetzt schon, dass die Frikadellen genauso lecker schmecken würden wie das Gulasch, das es gestern gegeben hatte. Das war so weich gewesen, dass man es mit der Gabel teilen konnte.
Und wie gesagt: diese Soßen! Berta hatte ihm gestern erzählt, dass sie ihre Soßen sehr lange reduzierte und dann mit einer speziell angerührten Wein-Kräuter-Mischung wieder auffüllte und erneut köcheln ließ. Gabriel hätte sich ausschließlich von diesen Soßen ernähren können.
Alfred stellte ihm ungefragt einen Korn und ein Bier hin und goss sich selbst ebenfalls ein. Er war hager, blass und hatte lange, knochige Finger, die Gabriel an die Hexe in ›Hänsel und Gretel‹ erinnerten. Eigentlich sah er nicht unbedingt wie ein Wirt aus, eher wie ein Mann, der gern im Keller an Computern saß. Dazu wirkte er so blutarm und kränklich, dass Gabriel ihn bei der ersten Begegnung am liebsten gestützt hätte, weil er fürchtete, dass der Mann beim Gehen durchbrechen würde wie ein Zahnstocher.
Aber der Schein trog. Alfred hatte ihm erzählt, dass er mal knapp zweihundert Kilo auf die Waage gebracht hatte. Dann habe er ganz viel abgenommen, und das sollte jetzt auch so bleiben. Alfred war fit wie ein Turnschuh. Er war nur einfach wenig an der frischen Luft.
»Prost«, sagte Gabriel und hob sein Glas, und Alfred tat es ihm nach. Aus dem Radio in Bertas Küche dudelte Katja Ebsteins uraltes Lied »Es war einmal ein Jäger«. Hätte er es nicht besser gewusst, Gabriel hätte schwören können, dass sie sich in den Siebzigerjahren befanden.
»Was ist das denn?«, fragte Alfred und deutete auf den schlammigen Rucksack, den Gabriel in eine Plastiktüte gesteckt hatte. Seit Gabriel hier war, bemühte sich Alfred, hochdeutsch zu sprechen, was ihm auch
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