Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
hätte er sie um einen Vortrag zur Atomphysik gebeten und wäre jetzt nicht zufrieden.
»Das ist so bei Ermittlungen. Es tauchen immer neue Fragen auf. Und sicher sind Sie als Gottesdienerin doch daran interessiert, dass der Fall geklärt wird und die Täter hinter Schloss und Riegel kommen.«
»Das ist natürlich richtig. Andererseits ist es stets Gottes Wille, was passiert.«
»Da bin ich nicht ganz Ihrer Meinung«, sagte Gabriel, der es mit dem Glauben nicht so hatte. »Die beiden Toten wurden höchstwahrscheinlich umgebracht. Von Menschen.«
»Nun ja«, sie überlegte kurz und knackste. »Vielleicht … ach, was mache ich mir überhaupt Gedanken darüber. Ich muss jetzt gehen, und Sie gehen jetzt besser auch. Man sieht es nicht gern, wenn hier Fremde herumlungern.«
»Erstens mal lungere ich nicht herum, sondern befinde mich mitten in Ermittlungen, und zweitens ist das hier ein öffentlicher Platz, zu dem jeder Zutritt hat.«
»Menschen, die nicht gottesfürchtig sind, sollten sich hier aber nicht aufhalten«, sagte die Frau mit schneidender Stimme. »Aber bitte. Dann bleiben Sie eben noch. Mir kann es ja letztendlich egal sein.« Sie kniff die Lippen zusammen, dann drehte sie sich um und stapfte nicht etwa davon, sondern begab sich noch mal zu der Tür, aus der sie vor ein paar Minuten gekommen war.
»Ich muss selbstverständlich abschließen«, ließ sie Gabriel wissen und drehte den Schlüssel im Schloss. »Dann viel Erfolg noch bei Ihren … Ermittlungen.« Das letzte Wort sprach sie aus, als wäre das etwas ganz Ekliges.
Gabriel sagte gar nichts mehr. Das war ihm einfach zu blöd. Eines hatte die Frau allerdings bewirkt: Er war jetzt noch neugieriger als vorher. Diese Zicke würde er mal durchleuchten. Als sie um die Ecke verschwand, sah er ihr kopfschüttelnd nach. Komische Frau. Aber vielleicht wurde man im Kloster ja mit der Zeit grundsätzlich wunderlich. Jetzt hatte er vergessen, sie wegen ihres Namens festzunageln. Herrje, er ärgerte sich. Na ja, dann musste er eben zu diesem Kloster fahren, sollte er sie noch mal brauchen. Aber vielleicht klärte sich ja auch alles so, und man konnte auf ihre Hilfe verzichten.
Sein Handy klingelte, und Sandra fragte, wo er eigentlich blieb.
»Ich komme …«, begann er, dann stockte er. »Nein, doch nicht. Weißt du was, fahr doch schon mal vor.«
»Warum das?«
»Ich bin hier noch nicht fertig«, erklärte er. »Ich will allein noch ein bisschen herumschauen. Vielleicht finde ich ja noch einen Hinweis oder irgendwas.«
»Soll ich dich später abholen, Chef?«
»Nein, nein, ich gehe zu Fuß. So weit ist es nun auch nicht. Ein bisschen Bewegung tut Mutter und mir gut.« Er hatte natürlich überhaupt keine Lust zu laufen, vor allen Dingen nicht bei dieser sengenden Hitze, aber er wollte allein sein. Ungestört, ohne Zeitdruck.
»Wie du willst, Chef. Was soll ich solange machen?«
»Versuch mal, Sebastian auszuquetschen. Über die Bewohner des Dorfes, und warum die alle so gleichgültig sind. Und dann ruf doch bitte noch mal in der Rechtsmedizin an. Dieser Kühn muss doch langsam mal fertig sein.« Von seiner Begegnung mit der aggressiven Frau am Kloster erzählte er nichts. Darüber wollte er erst noch mal in Ruhe nachdenken.
»Ach so«, sagte er dann noch. »Und bestell die beiden Witwen doch bitte für heute Nachmittag zur Tutzelwanger Dienststelle. Ich glaube, wir sollten sie noch ein bisschen ausfragen.«
»Finde ich auch. Also, bis nachher.«
Sandras Stimme klang so, als würde sie sich darüber freuen, dass Gabriel nicht mitkam. Hm. Vielleicht flirtete sie mit Sebastian. Aber das konnte ihm auch egal sein.
Gabriel beschloss, die schon wieder an der Leine zerrende Mutter an einem Baum festzubinden. Dort war Schatten, und der Hund sollte sich mal abregen.
Dann ging er langsam zum Gebäude zurück. Es war aus Backstein, es war hoch, und es sah alt aus. Eigentlich war es ein recht schönes altes Kloster, und der Innenhof mit dem Garten war geradezu romantisch.
Gabriel beschloss, sich jetzt mal alles ganz genau anzuschauen. Nun hatte er ja Zeit.
•
»Warum sind Sie denn noch nicht verheiratet?«, fragte Sandra und bremste am Ortseingang ab. »Heiratet man in ländlichen Gebieten nicht immer sehr früh?« Das hatte sie mal irgendwo gelesen.
Sebastian lachte. »Nicht unbedingt. Obwohl ich zugeben muss, dass meine früheren Klassenkameraden alle schon lange verheiratet sind. Und über die Hälfte hat schon Kinder. Einer sogar
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