Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
aussah, als würde sie gleich den Kopf schief legen und »Bitte, hab mich lieb« flüstern, tönte im nächsten Moment schon wieder eine fast herrisch anmutende Stimme durch den Raum und belehrte ihn über seine Defizite. Und nach Ansicht der Gräfin gab es einiges, was dem Kommissar zum richtigen Leben und Denken noch fehlte. Bereits auf seine erste harmlose Frage hatte sie zu einem längeren Sermon angesetzt.
»Ob ich Dr. Bettermann kannte? Aber selbstredend! Ich habe sie alle gekannt. Konrad Bettermann, Ludwig Meininger, Vinzenz von Rendel, Eric Sterne … Wir sind uns schon in vielerlei Gestalten begegnet. Er arbeitet daran, eine alte Schuld abzutragen. Nun gut, das tun wir alle, aber in seinem Fall ist es eine sehr alte, sehr große Schuld. Wer sollte denn ahnen, dass ihn jemand vorzeitig daran hindern würde, seine Aufgabe in diesem Leben zu vollenden! Eine Tragödie!« Sie lehnte den Kopf an die Wandtäfelung und schloss die Augen. »Der gute Konrad, wie sehr hat er sich bemüht. Aber diesmal ist er schon recht weit gekommen.«
»Können Sie mir sagen, worin diese … äh … alte Schuld bestand?« Gabriel beeilte sich, seine Frage loszuwerden, während die Gräfin sich noch ihrer träumerischen Stimmung hingab. Aber schon kippte ihr Ton wieder ins Schroffe, während sie ihn mit einem spöttischen Blick bedachte.
»Ob ich Ihnen das sagen könnte? Na, Sie sind lustig. Na türlich könnte ich das. Ich habe es ja mit ihm zusammen her ausgefunden. Aber ich werde es nicht tun, denn ich wüsste nicht, was Sie das angeht. That’s none of your business, Herr Kommissar.«
So einfach wollte sich Wolf Gabriel nicht abspeisen lassen. »Aber natürlich ist das genau ›my business‹. Was denken Sie! Es ist Ihnen offenbar noch nicht ganz klar, dass ich hier einen Mord aufkläre.«
»Und ich denke, dass Sie wenig wissen über unser eigentliches – ewiges – Leben, das rein geistig-spiritueller Natur ist. Vermutlich suchen Sie Ihren Täter ganz profan im Diesseits.«
Das konnte Gabriel freilich nicht von der Hand weisen. Ob jemand in seinem Vorleben als Kleopatra oder Napoleon, Ludwig II. oder Sisi Schuld auf sich geladen hatte, war ihm tatsächlich schnuppe. Motive aus der Vergangenheit interessierten ihn nur, sofern sie in der Gegenwart eine Rolle spielten. Aber die Entscheidung darüber, was wichtig war, wollte er schon noch selbst treffen, und deshalb war es ihm wichtig, seine Informationen ungefiltert zu erhalten. Er beschloss, sich erst einmal ganz pragmatisch einen Überblick zu verschaffen.
»Wie viele Menschen wohnen denn hier im Haus?«
Die Gräfin lächelte, als hätte sie exakt diese Frage erwartet. »Mich eingerechnet, zwölf. Das heißt, jetzt nur noch elf, ohne Konrad. Eine seltsame Zahl.«
»Kannten Sie – oder sonst jemand hier im Haus – Dr. Bettermann schon vorher? Ich meine, in diesem Leben? Wie ist er überhaupt hierhergekommen?«
»Ich kannte ihn und kannte ihn nicht. Früher oder später musste er zu mir finden.«
»Ja, und wie geschah das konkret? Wie finden die … Bewohner im Allgemeinen zu Ihnen?«
»Was weiß ich? Mundpropaganda, Zeitungsberichte, meine Broschüre, das Internet? Der äußere Anlass oder Auslöser interessiert mich nicht. Wer zu mir findet, tut dies nicht ohne zwingenden inneren Grund. Sie glauben doch sicher auch nicht an Zufälle?«
»Ich habe zufällig einen berühmten Kollegen, der Zufall heißt.«
Sie lachte. »Ja, und wenn Sie genau hingucken, hat der ein sehr gutes Blatt auf der Hand. Nur törichten Zeitgenossen mag manches willkürlich, wie Zufall, erscheinen, in Wahrheit geschieht nichts ohne Grund. Keine Ursache ohne Wirkung, keine Wirkung, die nicht eine Ursache hätte. Auf diesem universellen Prinzip beruht doch alles. Wenn die Menschen das nur endlich einsehen würden. Wir ernten, was wir säen – und davon ist niemand ausgenommen.«
Schön wär’s, dachte Gabriel. Laut sagte er: »Das habe ich schon mal irgendwo so gehört.«
»Steht in der Bibel, Herr Kommissar. Aber Sie wollten wissen, wer derzeit im Haus lebt.« Sie warf einen Blick auf ihre goldene Armbanduhr, ein zierliches antikes Stück, von dem man nicht gedacht hätte, dass es, außer hübsch auszusehen, noch eine praktische Funktion erfüllte. »Wir essen gleich zu Mittag. Darf ich Sie einladen, uns dabei Gesellschaft zu leisten? Dann lernen Sie gleich die ganze Tafelrunde kennen und können Ihre Fragen jedem Einzelnen persönlich stellen.«
Sie setzte sich auf und straffte sich, und
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