Mordsdeal
viel Überwindung, aber zwischendurch kam tatsächlich so etwas wie enge Verbundenheit auf, als sie die Szenen ihrer Kindheit aufgearbeitet hatten. Hilla war von ihren Eltern missachtet und beschimpft worden. Sie war immer das Sorgenkind der Familie gewesen. Die Gläser ihrer Brille waren dick wie Glasbausteine, durch ihre Ungeschicktheit und Körperfülle bot Hilla eine ideale Angriffsfläche für Hänseleien. Ihre Eltern wollten, dass sie sich änderte, damit sie später in ihrem Leben zurechtkam. Hilla hatte sich nie geändert.
Sie gestand Gitti unter Tränen, sie habe ihr damals den Freund nicht weggenommen. Er sei es selbst gewesen, der sich angeboten hatte, ihr zu zeigen, wie es war, wenn man zum ersten Mal geküsst wurde, und wie es sich anfühlte, von einem Mann geliebt zu werden.
»Glaub mir, erst als Sven mir sagte, er habe sich von dir getrennt, hatte ich kein schlechtes Gewissen mehr und habe es zugelassen. Es hatte mir damals wirklich keinen Spaß bereitet, mich mit ihm einzulassen. Ich sollte Sachen machen, die mich entsetzten und die mir wehtaten.«
Dass Hilla es fürchterlich bereut hatte, glaubte Gitti ihr tatsächlich. Nachdem sie die beiden erwischt hatte, ging er anderntags schon wieder mit einer anderen. Typisch Sven, wollte immer nur Jungfrauen knacken, aber da war er bei ihr, Gitti, an die falsche Adresse gekommen.
Seltsam, sie hatte mit Hilla bisher nie darüber gesprochen.
»Ach, weißt du«, sagte Gitti, »was einmal gewesen ist, wollen wir schnell vergessen – zumindest das Schlechte. Viel wichtiger ist mir das Heute. Ich muss gestehen, ich habe dir eine Zeit lang zugetraut, mit Heiner ein Verhältnis zu haben. Er ist in letzter Zeit so anders. Noch mürrischer als die Jahre zuvor, noch hektischer und immer öfter spät abends mit dem Auto unterwegs, dabei fuhr er sonst nur mit dem Rad in die nächste Kneipe. Als Romeo mir dann sagte, er hätte euch in Neersen gesehen, passte es natürlich.«
Hilla verschluckte sich an der eigenen Spucke.
»Na ja, Romeo wusste nicht, dass wir geschäftlich miteinander zu tun haben. Wie gesagt, es ging um die Rheumadecke für eine Bekannte.«
»Mir ist aber auch aufgefallen«, fuhr Hilla schnell fort, »wie Heiner sich zu seinem Nachteil verändert hat. Er bekommt schnell Schweißausbrüche, wenn er sich anstrengt.«
»Wie meinst du das? Wobei?« Das interessierte Gitti jetzt wirklich einmal.
»Ich meine … bei … als … er mir geholfen hatte, die Birne in die Lampe zu schrauben. Genau, ich hatte ihn darum gebeten. Ich komme da ja nicht ran und auf eine Leiter steige ich immer noch nicht.«
»Hilllllla …! Filmst du wieder? Und was ist mit dem Brief hier?« Gitti zerrte ihn aus ihrer Hose und warf ihr die zwei Hälften entgegen.
»Gitti! Zwing mich nicht, es zu sagen …«
»Also doch?« Nun bekam Gitti einen Schweißausbruch. Zusammenreimen konnte sie sich viel und sich darüber aufregen, aber wenn es dann um die reine Wahrheit ging, machte es sie nur rasend.
»Ja, es ist so, wie du denkst. Gitti, bitte, lass uns vernünftig darüber reden.« Hilla stand auf und öffnete den Wohnzimmerschrank. Sie benötigte dringend ein paar Beruhigungskekse. Die Süßigkeiten flogen ihr entgegen. Sie brauchte nur das Richtige zu fangen.
Gitti wollte keinen Keks, sondern die schonungslose Wahrheit, mit der sie Heiner erschlagen würde.
Hilla fing an, es zu genießen: »Heiner wollte mir nur einen – wie er sagte – schwägerlichen Kuss geben, und dabei hatte er mir seine Zunge in den Hals gesteckt.«
Gitti stellte es sich gerade bildlich vor: Ihr Heiner küsste ihre Schwester. Heiner, der es schaffte, seine Zahnbürste fünf Jahre lang zu benutzen, ohne dass man es ihr ansah. Gitti konnte sich nur vage an Heiners Küsse erinnern. Es musste aber grauenhaft gewesen sein.
»Es war grauenhaft!« Hilla spuckte Krümel aus.
»Ich habe mich gewehrt, und je mehr ich mich wehrte, desto aufdringlicher wurde Heiner.« Hilla stopfte den letzten Keks in den noch vollen Mund.
»ER HAT DICH VERGEWALTIGT?« Gitti schrie es heraus.
»Würde ich jetzt so nicht sagen, aber ich schwöre, es hat mir keinen Spaß gemacht. Heiner ist ein Schwein. Pfui Spinne! Du solltest dich von ihm trennen.«
»Ich werde mich nie von Heiner trennen und er sich nicht von mir. Zusammen geht es uns finanziell so lala, trennen wir uns, werden wir uns beide ruinieren. Heiner weiß das.« Es war eine einfache Gleichung, die Gitti immer ein wenig beruhigte, sie sicher machte, dass er bei
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