Mordsfreunde
könnt, was sie für eine billige Schlampe ist! Sie hat mir ...«
Sein Hass berauschte ihn, er wurde unvorsichtig und verließ um Zentimeter die Deckung von Lukas' Körper. Das reichte dem Scharfschützen auf der Mauer. Pia sah, wie die Kugel in Tareks linke Schulter einschlug, ihn nach hinten und in die Tiefe riss. Sie rannte los, hoffte verzweifelt, Lukas noch halten zu können. Der Junge ruderte hilflos mit beiden Armen, die Augen in panischem Entsetzen weit aufgerissen. Er kämpfte vergeblich, verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts von der Burgmauer.
Nur wenige Minuten später war die Burg voller Menschen. Die Männer der Königsteiner Feuerwehr leuchteten mit starken Handscheinwerfern an der Stelle, an der die beiden Jungen über die Mauer gestürzt waren, in das dunkle Unterholz in der Tiefe. Das SEK rückte ab, von der Stadt näherten sich Krankenwagen mit Sirenen und zuckendem Blaulicht. Bodenstein und Behnke machten sich auf den Weg zum Fuß der Burg, verstärkt von Dutzenden Polizeibeamten. Christoph Sander hatte Pia eine Decke der Feuerwehr um die Schultern gelegt und hielt sie in seinen Armen fest. Allmählich lösten sich bei ihr die Anspannung und der Schock, unter dem sie in den vergangenen Stunden gestanden hatte, und sie begriff, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte.
»Glaubst du, er hat die Wahrheit gesagt?«, fragte Sander besorgt. Pia blickte ihn an und nickte.
»Ich fürchte, ja«, sagte sie. »Der Kerl hieß Kai-Michael Engler. Ich weiß auch, dass er in Darmstadt wohnt.«
»Du kannst auf keinen Fall mehr alleine auf dem Hof bleiben.«
»Ich sehe den einen Jungen!«, rief einer der Feuerwehrleutein diesem Moment aufgeregt. »Er hängt in einem Baum!«
In einer dramatischen Rettungsaktion gelang es der Feuerwehr, Lukas aus der Krone eines Baumes fünfzehn Meter unterhalb der Burgmauer zu bergen. Pia hatte sich geweigert, in einen Krankenwagen zu steigen. Gemeinsam mit Sander und Antonia wartete sie, bis die Feuerwehr die Trage mit Lukas über die Burgmauer zog. Der Junge war bei Bewusstsein und lächelte matt, als er Pia erkannte. Seinen Sturz von der Mauer hatte er mit ein paar Knochenbrüchen, aber wenigstens nicht mit dem Leben bezahlen müssen. Ohne den Baum wäre er fünfzig Meter tiefer auf dem Granitfelsen unterhalb der Burg aufgeschlagen, das hätte er zweifellos nicht überlebt. Die Sanitäter trugen ihn zu einem der wartenden Krankenwagen. Sander erzählte Pia unterdessen, was in den vergangenen vierundzwanzig Stunden geschehen war.
»Dein Chef war fest davon überzeugt, dass Lukas seinen Vater umbringen wollte«, sagte er. »Wir sind heftig aneinandergeraten.«
»Er hat dich die ganze Zeit verdächtigt«, antwortete Pia.
»Ich weiß. Er kann mich nicht leiden«, Sander schüttelte den Kopf.
»Vielleicht ist er eifersüchtig«, Pia grinste ein bisschen. »Wieso denn das?«
»Inka Hansen war seine Jugendliebe. Er hat dich mit ihr beim Abendessen gesehen.«
Sander begriff die Zusammenhänge.
»Das verstehe ich ja noch. Aber was ist mit dir?«
»Mit mir?«, fragte Pia erstaunt. »Wie meinst du das?«
»Deinem Chef scheint es auch nicht zu passen, dass ich dich mag.«
Pia spürte, wie ihr Herz bei diesen Worten einen glücklichen Hüpfer machte.
»Tja«, sagte sie, »im Hühnerhof darf es eben nur einen Gockel geben.«
Ein Polizeihubschrauber kreiste über der Burg. Die Männer vom SEK hatten sich versammelt und gingen zu ihren Fahrzeugen. Für sie war dies nur ein Einsatz unter vielen gewesen.
Sander legte Pia einen Arm um die Schultern, den anderen um Antonia.
»Kommt, Mädels«, sagte er. »Ich habe die Nase voll von der Burg.«
»Ich auch«, erwiderte Pia. »Aber vor allen Dingen muss ich so schnell wie möglich aufs Klo.«
Tarek Fiedler hatte den Sturz glimpflich überstanden. Er war im dichten Gestrüpp am Fuß der Burg relativ weich gelandet, die Schussverletzung in der linken Schulter schien ihn nicht daran gehindert zu haben, sich aus dem Staub zu machen. Polizei und Feuerwehr durchkämmten das Gebüsch, Bodenstein stand mit grimmiger Miene und seinem Handy am Ohr auf dem Weg, als Pia in Begleitung von Sander und seiner Tochter von der Burg herunterkam.
»Der Kerl ist abgehauen«, verkündete Behnke. »Nicht zu fassen, dass jemand so zäh sein kann.«
»Er ist total geisteskrank«, sagte Antonia und schauderte in ihren nassen Kleidern. »Ich konnte ihn noch nie leiden.«
»Weit kommt er nicht«, Bodenstein steckte sein Handy ein und
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