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Mordsidyll

Mordsidyll

Titel: Mordsidyll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Zandecki
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Hinterteil und sprang dann nach vorn, um erneut am Seil zu ziehen. Anna musste anerkennen, dass er seine Aufgabe ohne Angst anging, wie es nur jemand konnte, der mit den Tieren aufgewachsen war. Agatha schien ihn schließlich als Führer anzuerkennen und setzte sich in Bewegung. Langsam trottete sie hinter ihm her.
    Â»Na, geht doch«, lobte Mazcevski.
    Â»Das haben Sie gut gemacht«, sagte Anna zu ihrem jungen Helfer und führte Enid hinter Agatha in den Stall. Sie schaute zurück auf den Vorplatz, um sich zu vergewissern, dass der Rest der Herde den Leittieren folgte.
    Â»Sie müssen hierhin.« Anna deutete auf die Anbindestelle im Stall. »Die anderen kommen von allein. Ich muss kurz hinter dem Gebäude etwas erledigen, bin gleich wieder da. Achten Sie auf die Kühe«, sagte Anna und gab Mazcevski ihre Leine.
    Sie lief aus dem Stall. Wie hatte sie das nur vergessen können? Sie musste schnellstens die Spuren des Kampfes beseitigen, bevor Mazcevski sie entdeckte. Als sie an der Güllepumpe angekommen war, hob sie die Schrotflinte vom Boden auf und verbarg sie notdürftig in einem kleinen Gebüsch. Das musste vorerst reichen. Später würde sie sich in Ruhe darum kümmern. Im Eilschritt trat sie den Rückweg zu ihren Tieren an.
    Als sämtliche Kühe im Stall waren, schloss Anna sorgfältig die Absperrungen der Metallzäune. »Ich danke Ihnen.« Sie drehte sich zu Mazcevski um und sah ihm direkt in die Augen. Es war das erste Mal, dass sie dabei keinen unbändigen Hass empfand. »Na kommen Sie. Wir können ja einen Kaffee trinken!«
    Auf dem Weg hinunter zum Bauernhaus wunderte sich Anna über sich selbst. Wer hätte gedacht, dass sie einmal mit dem Jungen, der ihren Ehemann getötet hatte, zusammensitzen würde? Doch sie hatte das Gefühl, etwas wiedergutmachen zu müssen – so wie er. Immerhin hätte sie ihn noch vor drei Tagen am liebsten umgebracht und es beinahe auch getan. Sie musste das Kriegsbeil endgültig begraben, es hatte sie bereits in genügend Schwierigkeiten gebracht.
    Anna führte Mazcevski in die ›gute Stube‹, wie sie ihr Wohnzimmer gern nannte. Als sie mit dem Tablett mit Kaffeetassen und Plätzchen hereinkam, stand Mazcevski vor dem Bild, das im Glasrahmen über der Couch hing. »Sind Sie das?«
    Anna lächelte. »Nein, das ist ein Druck von Jan Vermeer. Es ist ein altes, berühmtes Bild. ›Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge‹. Klaus, also mein Mann, hat es mir geschenkt. Er fand auch, dass die Frau mir ähnlich sieht.«
    Betreten setzte sich Mazcevski in den alten Sessel mit Lehnen aus dunklem Holz, während Anna auf dem Sofa Platz nahm. Die Sitzflächen waren abgenutzt, sodass sie die gehäkelten Deckchen, die noch von ihrer Schwiegermutter stammten, darauf gelegt hatte. Auch wenn sie sich neue Möbel wünschte, daran war im Augenblick nicht zu denken. Und irgendwie passten die altmodischen Überwürfe zu der urigen Anrichte, deren Holz ebenso wie das des kleinen Wohnzimmertischs im Laufe der Jahrzehnte fast schwarz nachgedunkelt war. Der einzige Luxus, den sich Klaus und Anna gegönnt hatten, war die neue Terrassentür. Doch nicht einmal die Terrasse selbst war fertig. Seit Klaus’ Tod standen die Bauarbeiten still.
    Anna blickte Mazcevski durchdringend an. »Sie möchten, dass ich Ihnen die Last Ihrer Schuld abnehme, richtig?«
    Der junge Mann schüttelt nachdenklich den Kopf. »Nein. Mir ist die Tragweite meiner Tat bewusst. Ich möchte Ihnen lediglich versichern, dass es mir aufrichtig leidtut. Ich kann Ihren Mann nicht ins Leben zurückholen. Ich kann es nicht ungeschehen machen. Aber Sie sollen bitte nicht von mir denken, dass mich das Geschehene kaltlässt. Es wird mich mein ganzes Leben lang begleiten.«
    Anna trank schweigend ihren Kaffee. Der Schmerz saß doch noch tiefer, als sie gedacht hatte. »Wissen Sie, wenn man jemanden über alles liebt, aber diese Liebe sich nicht erfüllt, dann rinnt das Leben einfach so dahin. Man vergisst schnell, wie kostbar das eigene Dasein ist.«
    Mazcevski nickte und rührte gedankenverloren mit dem Löffel in seiner Kaffeetasse. »Ich hatte noch nie solch ein starkes Gefühl. Aber ich kann mir vorstellen, was Sie meinen. Ich wollte Ihnen Ihren Mann nicht wegnehmen, glauben Sie mir das.«
    Tränen stiegen Anna in die Augen. »Sie machen es sich verdammt

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