Mordsidyll
ihr Mordattentat, dachte sie. So schloss sich der Kreis.
Als sich Anna gerade ihrem Widersacher zuwenden wollte, um ihm die CD auszuhändigen, fiel ihr Blick auf einen alten metallenen Melkeimer, der jenseits der Trennwand auf dem Boden stand. Reflexartig packte sie den Henkel, dreht sich blitzschnell um und schleuderte den Behälter mit voller Wucht gegen die Schläfe des Boxergesichts. Benommen taumelte der Mann zur Seite und verlor das Gleichgewicht. Er stürzte auf die trächtige Kuh zu, die erschrocken, trotz ihres Gewichts, kräftig mit beiden Hinterbeinen ausschlug. Ein Huf traf den Kopf des Mannes mit voller Wucht. Wie ein Pingpongball änderte der Kopf des Boxergesichts die Flugrichtung und prallte gegen das nächste Hindernis: die massive Trennwand der Box. Anna hörte ein lautes Knacksen, dann war es still. Allein ihre trächtige Kuh tänzelte noch nervös in der Box herum.
Vorsichtig ging Anna auf den Mann zu. Mit verrenktem Kopf lag er reglos auf der Seite. Anna stieà mit dem Fuà gegen seinen Arm. Er lieà sich schlaff beiseiteschieben. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, beugte sich hinunter und stupste ihren Verfolger mit den Fingern an. Als er nicht reagierte, drehte Anna ihn auf den Rücken. Da sah sie es â der Schädel war an einer Seite eingedrückt und sein Blut hatte das Stroh rot gefärbt. Entsetzt blickte sie in das Boxergesicht. In seinen leblosen Augen konnte sie noch die Ãberraschung sehen.
Im ersten Moment empfand Anna Erleichterung, dann durchfuhr sie jedoch ein entsetzlicher Gedanke: Dieses Mal hatte sie wirklich einen Menschen getötet. War es Notwehr gewesen? Ging es gar als ein Unfall durch? Sie hatte ihn nur für einen Moment auÃer Gefecht setzen wollen, hatte ja nicht ahnen können, dass es zu dieser Kettenreaktion kommen würde! Drei Treffer auf einmal: Melkeimer, bockende Kuh und Boxenwand. Fakt war aber, ihr Schlag hatte alles ausgelöst und den Unbekannten ins Jenseits befördert.
Erschöpft setzte sich Anna auf den Boden. Sie hatte einen Menschen auf dem Gewissen. Wie sollte das mit ihr bloà weitergehen? Wann würde dieser Albtraum endlich aufhören?
»Hallo, hallo ⦠Ist da wer?«, riss sie eine Stimme aus ihren Ãberlegungen. Jemand war vor dem Kuhstall.
Kapitel 6
24. April
Die führenden Ermittler waren von Junge in den kleinen Konferenzraum der Olper Polizeidienststelle beordert worden, um das weitere Vorgehen in der Entführung des Schützenvogels zu besprechen. Ruste lümmelte sich neben Schröder auf einen der unbequemen Plastikstühle hinter den Tischen, die in dem zweckmäÃig eingerichteten Raum in U-Form angeordnet waren. Gelangweilt starrte er zum Polizeidirektor, der an der Stirnseite vor der Leinwand Position bezogen hatte.
Junge kam schnell zur Sache und tobte lautstark, da keiner der Polizisten Ermittlungserfolge vorweisen konnte. »Vor unserer Nase wird ein bunt bemalter Vogel mit einer Spannweite von ungefähr 1,6 Metern gestohlen. Der Vorsitzende des Olper Schützenvereins findet in seinem Briefkasten ein zweites Drohschreiben der Entführer. Ich frage mich: Wie kann das sein? Warum wurde das Haus nicht observiert?«
Nachdem Junge der versammelten Mannschaft mit seinem Vortrag die Hölle heiÃgemacht hatte und die Runde auflösen wollte, erhob sich Ruste. »Halt, falls ihr euch erinnert: Wir haben noch einen anderen Fall! Einen versuchten Mord, vielleicht sollten wir mal darüber sprechen!«
Ein Blick auf Junges zerknirschtes Gesicht verriet Ruste, dass sein Vorschlag dem Polizeidirektor nicht gefiel. Aber der konnte schlecht etwas dagegen einwenden, immerhin handelte es sich um eine laufende Ermittlung! Wollte Junge ernsthaft, dass die gesamte Belegschaft ausschlieÃlich einem lächerlichen Vogel hinterherjagte?
Als hätte Junge seine Gedanken gelesen, stimmte er missmutig zu. Ruste bat Schröder und die anderen zwei Beamten, die an dem Fall mitarbeiteten, sich wieder zu setzen, und lud Schwenke von der Spurensicherung hinzu.
»Meine Herren«, begann Junge mit ernster Miene und räusperte sich umgehend.
Seufzend lieà sich Ruste auf seinen Plastikstuhl fallen. Der Herr Polizeidirektor lieà sich offensichtlich nicht das Heft aus der Hand nehmen â und erst recht nicht von ihm, dessen war sich Ruste bewusst. Und das obwohl Junge gar keine Ahnung von den Ermittlungen hatte!
»Der Mordversuch
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