Mordskerle (German Edition)
wenn er nicht diesen blöden Berg ´rauf geklettert wäre“, erboste Inken sich daraufhin, und zu Annelies Erstaunen schwang bei diesen Worten wahrlich nicht allzu viel Trauer in ihrer Stimme mit.
Annelie wollte jedoch nicht voreilig urteilen, vor allem nicht verurteilen. Inken war keine, die sich von Emotionen hinreißen ließ, sagte sie sich. Bernhard Beer hatte seine Tochter zu einer erstklassigen Nachfolgerin heran gezogen, und Inken war ihm bereitwillig in diese Richtung gefolgt.
Ja, das war ihre Rolle: Die Nachfolgerin.
Mehr hatte sie wohl auch niemals sein wollen.
„Wie geht es Lena?“, erkundigte Inken sich, während sie an Annelies Seite durch die Halle schritt.
„Ja nun“, erwiderte Annelie vage. „Wir sehen uns eher selten. Ein besonders inniges Mutter-Tochter-Verhältnis haben wir ja nie gehabt.“
Inkens linke Augenbraue rutschte einige Millimeter höher. Mehr gestattete sie ihrem Gesicht nicht an Ausdruck.
„Das ist doch meistens viel gesünder“, stellte sie dann fest. „Wer hat bloß das Gerücht in die Welt gesetzt, dass Eltern und Kinder sich automatisch lieben müssen?“
Das war eine merkwürdige Frage für jemand wie Inken Beer, fand Annelie.
„Kennst du eigentlich meinen Mann?“ Inken wandte sich flüchtig zu Annelie um, die sich einen Schritt hinter ihr hielt und prompt ein hinreißend unechtes Lächeln auf ihr Gesicht zauberte. „Nein, leider hatte ich noch nicht das Vergnügen.“
„Da kommt er. Axel? Axel, ich glaube, du hast Annelie Klüver noch nicht kennen gelernt. Annelie ist eine frühere Freundin von Mutter. Annelie, das ist Axel.“
Ja, ich weiß, hätte Annelie daraufhin beinahe geantwortet.
Der junge Mann, blonder als jeder blonde Hollywoodstar, aber eben echt blond, kam ihnen auf dem langen Korridor entgegen. Er hätte Inkens Zwilling sein können, denn er trug einen Anzug von der gleichen Klasse und Qualität, war groß und schmal wie sie und besaß die gleiche jungenhafte Ausstrahlung.
Axel Lentz war der Typ des ewigen, großen Jungen, wusste Annelie. Und ja, sie hatte das Vergnügen bereits gehabt, ihn näher kennen zu lernen. Aber das konnte sie Inken nicht sagen. Es hätte sich wohl reichlich bizarr angehört, wenn sie auf die Frage: „Kennst du eigentlich meinen Mann?“ geantwortet hätte: „Ja, ziemlich gut sogar. Wir waren mal zusammen im Bett.“
Axel Lentz zuckte nicht mit der Wimper, als er Annelie die Hand reichte. Fast war sie geneigt, ihr erotisches Abenteuer mit ihm für eine Fantasie, einen Irrtum zu halten, etwas, das sich nur in ihrem Kopf abgespielt hatte.
„Mutter hat Annelie angerufen, um bei ihr Trost zu suchen“, fuhr Inken indes mit ausdrucksloser Stimme fort.
Axel Lentz lachte. Alles, was Annelie an Inken so irritierte – die hellen Augen, die jungenhaften Bewegungen, das kurze, helle Haar und der lässige Anzug – bei Axel hatte es sie von Anfang an fasziniert.
Inken blieb nun vor einer der zahlreichen Türen auf dem Korridor stehen, um ohne zu zögern energisch anzuklopfen. „Mutter? Annelie ist hier. Annelie Klüver. Du hattest sie angerufen!“
Einen Moment geschah nichts. Dann flog die Tür plötzlich auf, Sofie Beer trat heraus, sank in Annelies ausgebreitete Arme und versteckte weinend das kleine, bleiche Gesicht an deren Schulter.
„Dass du tatsächlich gekommen bist“, stammelte sie immer wieder. „Dass du dich auf den Weg zu mir gemacht hast…“
Die Regionalpresse hatte den „Rätselhaften Tod eines jungen Türken“ mit jedem Tag weiter nach hinten in ihren Blättern verbannt. Inzwischen informierte man den Leser gerne mit Sätzen, in denen man banal behauptete, dass „die Polizei immer noch nach dem Täter wie nach der Nadel im Heuhaufen suchte“.
Man konnte gar nicht oft genug betonen, dass es keinerlei Hinweise auf eine Tat mit rassistischem Hintergrund gab, dennoch ließe sich dieses Motiv natürlich nie ganz ausschließen…
Damit wollte man vor allem verhindern, dass die Badeorte an der Ostsee in den unangenehmen Verdacht gerieten, Heimat irgendwelcher rechts gerichteter Schläger zu sein. Wohl auch deshalb erinnerte man regelmäßig daran, dass der türkische Junge zwar im Stadtpark gefunden worden, der Tatort jedoch ein anderer gewesen war.
Tim Valendiek musste mit einem Verfahren wegen Fahrraddiebstahls rechnen. Er war einige Male zum Verhör geladen worden, hatte jedoch niemals etwas anderes ausgesagt als bei der ersten Anhörung.
Für einen Skandal und ein neuerliches heftiges
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