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Mordskerle (German Edition)

Mordskerle (German Edition)

Titel: Mordskerle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Schley
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Rauschen im Blätterwald der Presse sorgte allerdings die Tatsache, dass die Polizei überraschend bei der türkischen Familie des Opfers auftauchte, um erneut sämtliche Familienmitglieder zu befragen. Anschließend wurde der Vater des Jungen, Rahmi Ünal, zur Dienststelle mitgenommen, worüber er sich so aufregte, dass er einen Kreislaufkollaps erlitt.
    Rahmis Ehefrau konnte es nicht fassen. Glaubte die Polizei allen Ernstes, dass Metin von irgendjemand aus der Familie erschlagen worden war? Glaubte man denn, dass Rahmi seinem Sohn an jenem Abend gefolgt war, ihm aufgelauert hatte, um ihn anschließend zu töten? Oder verdächtigte man sogar die vier Schwestern, ihren Bruder umgebracht zu haben?
    Am Ende dieses Tages, an dem die Polizeibeamten Rahmi Ünal mitgenommen hatten, geschah es, dass die Frau ihre älteste Tochter schlug, als sie sie dabei ertappte, wie sie vor dem Spiegel posierte. Sie summte dabei, als wäre die Polizei nicht gerade erst zur Tür hinaus, ja, als wäre nichts geschehen, als dürfte man schon wieder singen und sich schmücken.
    Am nächsten Tag kehrte Rahmi zurück aus dem Krankenhaus, in das man ihn sicherheitshalber wegen seines Zusammenbruchs gebracht hatte. Sie bat ihn, dass er sie ein weiteres Mal zum Friedhof fuhr, und dort stand sie dann wieder in sengender Mittagshitze, das schwarze Kopftuch in die Stirn gezogen, den schwarzen Mantel bis oben zugeknöpft.
    Komm nach Hause, sagte ihr Mann schließlich, denn auch er schwitzte. Schweiß rann ihm über das Gesicht.
    Die Frau glaubte immer öfter zu spüren, dass er nicht gerne an das Grab seines Sohnes ging. Aus irgendeinem Grund wurde er dort sehr schnell unruhig. Sie konnte seine Angst förmlich riechen, aber wovor sollte er sich fürchten?
    Auch jetzt bat er sie wieder: Komm, lass uns hier nicht so lange stehen, es ist heiß, es tut dir nicht gut und mir auch nicht.
    Aber sie wollte nicht gehen, obwohl sie hier am Grab nicht das fand, was sie suchte. Ihre Töchter waren nur anfangs zum Friedhof gegangen. Inzwischen beklagten sie, dass der Weg zu weit und die Busverbindung zu schlecht war. Sie brauchten Stunden, ehe sie wieder zu Hause waren.
    Wieso beschwerten sich gesunde, junge Mädchen über eine schlechte Busverbindung und einen zu langen Weg, wenn es doch ihr Bruder war, der hier begraben lag? Der Bruder, den sie zu Lebzeiten vergöttert hatten und der von dort, wo er jetzt war, nicht zurückkommen würde?
    Sie verstand es nicht.
    Sie verstand auch ihren Mann nicht, der sie drängte, nach Hause zu fahren, sobald sie länger als zehn Minuten am Grab stand. Nein, sie erhielt hier nicht die Antworten auf ihre Fragen, doch gleichzeitig wusste sie nicht, wo sie sonst hätte danach suchen sollen.
    „Wo, zum Teufel, bin ich?“
    Das waren Max Breidbachs erste Worte, als er gegen Morgen in einem Krankenhausbett aufwachte. Aber seinen Worten fehlte der Zorn, den die Frage wohl ausdrücken sollte, fehlte die Kraft.
    Man hatte ihn nach Schleswig geflogen, wo er noch in der Nacht in einer fast dreistündigen Operation morgens um halb neun auf der Intensivstation erwachte. Er hatte viel Blut verloren und war schwach, doch er würde leben.
    Lena saß stundenlang auf dem Flur und wartete. Hin und wieder war sie hinaus gegangen, um Kaffee zu trinken und etwas zu essen, und wenn sie dann auf die Intensivstation zurückkam, blieb sie am Fenster stehen, wo Breidbach, angeschlossen an jede nur mögliche medizinische Technik, in seinem Bett lag.
    Jetzt, am Morgen, durfte sie zu ihm. Er hatte noch geschlafen, als sie sich auf den Stuhl neben dem Bett setzte. Sie lauschte fast eine halbe Stunde lang seinem raschen, leichten Atem – und dann endlich kam seine Frage:
    „Wo, zum Teufel, bin ich hier?“
    „Sie sind wach?“ Unwillkürlich beugte Lena sich zu ihm.
    „Hört sich ganz so an, wie?“, murmelte er matt. „Immerhin bin ich nicht tot.“
    „Daran hat nicht viel gefehlt“, wurde Lena ernst. „Wenn ich nicht gekommen wäre…“
    Er tastete mit einer Hand nach seinem Kopfverband. „Ist es schlimm?“
    „So schlimm, dass Sie mit der Narbe, die zurückbleiben wird, kaum einen Schönheitswettbewerb gewinnen werden.“
    „Dumme Sache“, seufzte er kraftlos.
    „Lebensgefährlich“, korrigierte sie ihn. „Aber nun sind Sie ja wieder da. Wie fühlen Sie sich?“
    Er hustete. „Es geht mir gut – glaube ich.“ Wie, um ihn Lügen zu strafen, durchzuckte ihn ein Schmerz. Er verzog das, was Lena von seinem Gesicht sehen konnte, gequält

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