Mordskerle (German Edition)
sie nach minutenlangem Schweigen. Die Hände im Schoß gefaltet, starrte sie vor sich hin. Wusste sie noch, dass sie einen Gast zu sich eingeladen hatte?
Annelie seufzte innerlich. Arme Sofie, dachte sie. Ohne Bernhard ist sie nichts. Er war der Fels in der Brandung ihres Lebens. Der starke, verlässliche Mann, den sie immer als Halt gebraucht hatte. Ein Mordskerl, dieser Bernhard Beer. Was wurde nun aus Sophie ohne ihn?
„Dein Gottlieb starb ja damals auch so unerwartet“, erinnerte Sofie sich nun endlich mit ihrer schwachen Mädchenstimme.
Annelies Lächeln war flüchtig. „Warum er glaubte, vor der Steuerprüfung ins Krankenhaus flüchten zu müssen, weiß ich bis heute nicht. Es war jedenfalls absolut überflüssig. Die Bücher der Firma waren makellos, ebenso die Finanzen.“
„Männer sind unberechenbar“, stellte Sofie, auf einmal lebhaft, fest. Sie blickte Annelie an. In diesem Moment erinnerte sie stark an die älter gewordene Audrey Hepburn, wenn die Hepburn höchstwahrscheinlich auch größer gewesen war.
Im Übrigen musste Annelie nicht antworten, denn Sofie begann selbst zu reden. Sie erhob sich aus ihrem Sessel, ging im Raum auf und ab, hin und her. Das tat sie ganz ruhig, die Hände auf dem Rücken verschränkt, mit den Augen immer wieder Annelies Blick suchend.
„Ich konnte Bernhards Vorliebe für Vulkane nie verstehen“, sagte sie nach einer Weile. Ihre Stimme zitterte leicht bei diesen Worten. Sie verlor jedoch nicht die Fassung. „Ich begriff es einfach nicht und kann es bis heute nicht begreifen. Was hat ihm das gegeben? Was hatte er davon? Er war immer ganz verändert, wenn er davon erzählte.“
Sie schwieg sekundenlang, ehe sie fortfuhr: „Weißt du, Annelie, ich hatte gar keine Lust, mit ihm diese lange Reise zu machen. Als er mir vorschlug, war ich zunächst nur
verwirrt und auch etwas ungehalten, denn der Termin passte mir gar nicht.“
Das wiederum verstand Annelie nicht. „Was gab es denn so Wichtiges, dass du lieber zu Hause geblieben wärst?“
Sofie lächelte verschämt wie das kleine Mädchen, das sie einst war. „Tennis am Rotenbaum“, gestand sie. „Ich habe noch nie ein Turnier versäumt, und dann kommt mir Bernhard mit dieser blödsinnigen Reise.“
„Zweite Flitterwochen, Sofie! So was lässt man doch nicht für ein banales Tennisturnier sausen!“
„Ja, das hat Sylvia auch gesagt“, murmelte Sofie verdrossen. „Ich bin dann ja auch mitgefahren. Schließlich war es Bernhard so wichtig, weil…“ Sie zögerte und warf Annelie erneut einen raschen, nun aber sehr wachen Blick zu. „Es sollte gewissermaßen ein Neuanfang sein.“
„Das klingt positiv“, fand Annelie. Dann wurde sie resolut. „Machen wir uns nichts vor, Sofie. Bernhard war ein notorischer Fremdgänger. Er hatte immer andere Frauen, und du hast es entweder nicht gewusst oder so getan, als ob du nichts wusstest und geschwiegen. Gelitten hast du aber immer, nicht wahr? Du warst in deiner Ehe nicht glücklich.“
Sofie war stehen geblieben. Sie blickte verlegen auf ihre Hände.
„Nein, das war ich nicht“, sagte sie schließlich kaum hörbar. „Es hat mich belastet. Dabei wusste ich es schon, bevor wir heirateten. Seine Mutter hatte mich gewarnt, ebenso seine Schwester. Bernhard kann nicht treu sein, sagten sie. Überleg dir gut, was du tust. Wenn du ihn heiratest, kommt möglicherweise eine Menge Ärger auf dich zu.“
„Du hast nie ein Wort gesagt!“
Sofie zuckte mit den Schultern. „Wem denn? Ich ging mit meiner Heirat eine Verpflichtung ein. Ich übernahm eine Verantwortung. Schließlich heiratet man in so eine Familie nicht ein, ohne sich darüber im Klaren zu sein, wo man sich befindet. Hätte ich öffentlich über Bernhards Affären zetern sollen? Als Inken geboren wurde, wollte ich erst recht kein Aufsehen. Das Kind sollte in einer intakten Familie aufwachsen. Nichts von Bernhards Eskapaden durfte nach draußen dringen. Nach dem Motto haben wir gelebt und ich verhinderte so, dass Bernhards guter Ruf, sein Name, die Firma niemals angekratzt wurden. Nur deshalb bleibt er jetzt nach seinem Tod allen als ehrenwerter Mensch in Erinnerung.“
Sophie verstummte abrupt, starrte wieder in die Leere. Dann fügte sie nachdrücklich hinzu: „Nur das war wichtig. Darauf kam es an.“
„Ach, Sofie“, seufzte Annelie bekümmert. „Du hattest es nicht leicht. Und aus den zweiten Flitterwochen wurde auch nichts, weil Bernhard dabei ums Leben kam.“
Jetzt rannen Tränen über
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