Mordskerle (German Edition)
niederließ und zweifellos von Lena erwartete, dass sie die Tür öffnete.
„Oh mein Gott“, stieß Lena immer wieder mit einem kleinen nervösen Kichern hervor, bis sie ihre Beherrschung wieder gefunden und die Kraft hatte, an die Haustür aus massivem Holz zu klopfen. Während sie auf eine Antwort wartete, erstarb jedoch auch ihr letztes Kichern. Auf einmal fühlte sie sich fremd, war nichts weiter als ein ungebetener Gast. Dieses Gefühl nahm zu, als niemand auf ihr Klopfen antwortete.
Der Hund saß dicht neben ihr und verfolgte aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Unvermittelt begann er zu winseln, woraufhin aus Lenas Unbehagen eine vage Angst wurde. Dieses Gefühl ließ sie nach der Türklinke greifen, um die Tür zu öffnen, doch es gelang nicht. Sie konnte die Tür nur ein paar Millimeter aufschieben, da von innen offenbar etwas Großes, Schweres dagegen drückte. Der Hund war aufgestanden, er presste seine Schnauze in diesen Spalt und begann mit tiefer, lauter Stimme zu bellen.
Noch einmal stemmte Lena sich gegen die Tür, die sich wieder nur einen, höchstens zwei Zentimeter weit öffnete. Was immer von der anderen Seite dagegen hielt, schien die Maße und das Gewicht eines mittleren Felsbrockens zu haben.
Lena begann zu schwitzen. Sie begann, sich mit aller Kraft gegen die Tür zu werfen, die sie so Zentimeter für Zentimeter weiter aufschieben konnte. Zwischendrin rief sie immer wieder Breidbachs Namen, sie keuchte, ihre Arme schmerzten, doch immerhin war der Spalt, den sie geschaffen hatte, irgendwann groß genug, sodass sich der Hund hindurch zwängen konnte.
Kaum im Innern des Hauses, wurde sein Bellen laut und aufgeregt, um dann in ein Winseln umzuschlagen, und die ganze Zeit konnte Lena ihn nervös hin und her laufen hören.
„Mein Gott!“, atmete sie indes auf, während sie sich die Hände an ihrem Seidenschal abwischte. „Der Mann hat wohl Angst vor Einbrechern. Aber ob die so scharf sind auf diese Einöde…“ Und während sie noch halblaut mit sich selber redete, schob sie sich ebenfalls durch den Türspalt, um im nächsten Moment bereits zu erstarren.
Sie hörte auf zu atmen, ihr Herz schlug nicht mehr, das Blut gefror ihr in den Adern. Einen Augenblick lang hatte sie vergessen, wer sie war, wie sie hieß, ob sie lebte oder gestorben war – denn es war sehr wohl jemand zu Hause, aber der lag auf dem Fußboden, direkt hinter der Tür. Nein, es war kein mittelgroßer Felsbrocken gewesen, den Lena mit soviel Mühe und Kraftanstrengung beiseite geschoben hatte.
Es war ein Mensch. Ein Mann.
Sie hatte ihn nie zuvor gesehen. Sie kannte ihn nicht. Die vagen Beschreibungen ihrer Mutter hatten kaum dafür ausgereicht, dass Lena sich ein eigenes Bild von ihm hatte machen können.
Aber dieses Bild brauchte sie nicht mehr.
Sie wusste ohnehin, dass der, der dort auf dem Boden lag und dessen Blut in den Dielen des Holzfußbodens versickerte, Max Breidbach war.
11. Kapitel
S ie wollte schreien, öffnete den Mund, doch es kam kein Ton über ihre Lippen. Sie versuchte es noch einmal und blieb wieder stumm. Da lag er. In seinem Blut, das die Fußbodendielen braun färbte, weil es inzwischen angefangen hatte, einzutrocknen.
Er war auf das Gesicht gestürzt. Die linke Hälfte seines Kopfes sah furchtbar aus. Lena schaute nur einmal für den Bruchteil einer Sekunde hin und dann sofort wieder weg, so unerträglich war der Anblick.
„O Gott, einen Arzt“, hörte sie sich irgendwann mit fremder, hoher Stimme stammeln. „Einen Arzt… Er braucht einen Arzt…Ich muss einen Arzt rufen…“
Doch sie konnte ihn nicht so liegen lassen. Lena rang mit sich, unschlüssig, ob sie zum Auto zurück laufen sollte, wo ihr Mobiltelefon im Handschuhfach lag und dort auf seinen Einsatz wartete – warum, zum Teufel, trug sie es nie bei sich? Dieses war ein Notfall und wozu sonst brauchte man ein mobiles Telefon?
Breidbach hilflos, wehrlos, halbtot oder doch noch lebendig zurück zu lassen, und sei es nur für fünf Minuten, würde sie nicht fertig bringen. Sie beugte sich stattdessen über den Mann, um ihn auf den Rücken zu drehen – etwas, das sie sich einfacher vorgestellt hätte. Der leblose Körper wog schwer, viel schwerer als alles, was Lena je in ihrem Leben gehoben hatte.
Indessen saß ihr der Hund groß und dunkel gegenüber, ohne sie aus den Augen zu lassen. Als sie einmal zu ihm hin sah, entdeckte sie ein dünnes Seil, das er um seinen kräftigen Nacken trug und in Fetzen vor seiner Brust lose
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