Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Hervorstechendstes Merkmal an ihm war sein dünn gezwirbelter schwarzer Schnauzbart, der aussah, als klebten ihm zwei Vanillestangen unter der Nase. Er war ohne weibliche Begleitung gekommen.
»Schon Ideen für das neue Stück?« erkundigte sich Paula leise.
»Ideen schon, aber«, sein spitzes Kinn deutete auf Barbara, »noch nicht der Generalin vorgetragen. Aber wie wär’s, wenn du mal einen Vorschlag machst? Schließlich hast du doch Theaterwissenschaften studiert.«
Paula wehrte ab. ››Einmal und nie wieder. Denk an das Ionesco-Stück.«
»Es war eine unserer besten Inszenierungen.«
»O ja. Besonders die letzte Vorstellung, vor dem Hausmeister, den zwei Mannen der freiwilligen Feuerwehr und der achtköpfigen Delegation des Altersheims, von der die Hälfte schlief. Ständig wurde ich hinterher angesprochen«, ihre Stimme schwoll an, »das nächste Mal spielt ihr aber wieder was Nettes, nicht so modernes Zeug.«
»Ignoranten«, winkte Siggi ab. »Provinzpack.«
»Und ich erinnere mich auch noch gut an den Anschiß der Generalin«, setzte Paula hinzu, »vom Nervenzusammenbruch unseres Kassenwarts will ich lieber gar nicht reden.«
»Übrigens«, sagte Barbara betont beiläufig, »Vito ist wieder da. Er will kommende Saison mitspielen.«
»Was für ein Segen«, entfuhr es Paula.
»Ich weiß, du magst ihn nicht, aber du weißt auch, wir haben einen chronischen Mangel an jungen Männern«, sagte Barbara anklagend, als wäre es die Aufgabe der jüngeren Frauen, spielwillige Altersgenossen zu rekrutieren. »Wir können nicht wählerisch sein. In dem Kriminalstück war er doch gar nicht schlecht. Nicht wahr, Doris?« Aber von Doris war keine Schützenhilfe zu erwarten. Wie sie Paula einmal anvertraut hatte, konnte sie diesen Schnösel mit seinem unerträglichen Machogehabe ebenfalls nicht ausstehen, sie verstand es lediglich besser als Paula, ihre Abneigung zu verbergen. Außerdem war sie im Moment unterwegs, um eine neue Flasche Wein zu holen. Paula war ihr dankbar dafür. sie selbst hatte die leeren Gläser nicht rechtzeitig bemerkt. Da Doris schon. einige Minuten fort war, vermutete Paula, daß sie schnell rübergelaufen war, um nach Max zu sehen.
Vito war Barbaras Entdeckung, sie hatte ihn auf irgendeinem Barhocker aufgelesen. Angeblich war Vito Student, doch die Spekulationen, womit er seinen großspurigen Lebensstil wohl finanzierte, gaben immer wieder ein beliebtes Lästerthema her. Barbara glaubte blind seinen Prahlereien, er sei nebenbei Musiker und Fotomodell, Siggi Fuchs und einige andere plädierten für Drogenhandel und Zuhälterei, und Paula fand, er hätte durchaus das Zeug zum Pornodarsteller.
Ohne die Frage gehört zu haben, erschien Doris in der Tür und fragte nach dem Korkenzieher.
»Hier«, Hermann Ullrich erhob sich. »Paula, darf ich mal telefonieren?«
»Aber sicher. Im Flur.«
Hermann, dem vermutlich das Engagement seiner Frau für diesen Schönling auf die Nerven ging, murmelte etwas von »muß mal bei der Rotarier-Sitzung nachfragen, wie weit sie sind und ob sie mich brauchen«, und Barbara fing prompt an zu stöhnen. »Es ist ein Graus mit ihm! Dabei hat er mir heute hoch und heilig versprochen hierzubleiben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann wir beide den letzten gemütlichen Abend hatten.«
»Ich schon«, grinste Hermann, »vor drei Wochen, als du übers Wochenende in der Schönheitsfarm warst.«
Doris trug die leeren Gläser hinaus. Sie bewegte sich sicher und selbstverständlich, fast so, als wäre sie die Gastgeberin. Um wenigstens den Schein zu wahren, folgte ihr Paula auf wackeligen Beinen in die Küche, wo Doris bereits mit dem Korkenzieher hantierte. Paula stand ein wenig deplaziert in ihrer eigenen Küche herum, während Doris den Wein in frische Gläser goß und leise sagte: »Paula, was hast du dir denn dabei gedacht, diesen Mann bei dir anzustellen?«
Paulas Zellen arbeiteten nicht mehr ganz so rasch wie sonst. »Welchen Mann?«
»Na, diesen Russen, diesen Mordverdächtigen, der seit neuestem bei dir im Garten arbeitet. Die ganze Siedlung spricht schon darüber.«
»Laß sie doch«, erwiderte Paula aufmüpfig, »wenn sie sonst nichts zum Reden haben.«
»Na, ich weiß nicht«, zweifelte Doris. »Ob du da nicht ein bißchen zu sehr mit dem Feuer spielst?«
»Ach was. Der Kerl ist harmlos, wirklich. Die Alte, die deinen Max vom Baum geholt hat, ist seine Mutter.«
»Auch Jack the Ripper hatte eine Mutter.«
»Die zwei können das bißchen Geld gut
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