Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Postbote im Anmarsch war.
»Viel Vergnügen«, krächzte sie und faßte sich an die schmerzende Stirn. Ein gemütlicher Vormittag mit Kaffee und Klatsch, während einem Silvanos zarte Hände den Kopf kraulten, das war sicher das Beste, was man sich an so einem trüben Vormittag antun konnte, dachte Paula sehnsüchtig. Ja, es war gar keine dumme Idee, nach einer Feier zum Friseur zu gehen statt vorher.
Doris startete rasselnd den Käfer, durch die leicht angelaufene hintere Scheibe erkannte Paula den blonden Haarwuschel von Max über seinem roten Regenmantel. Für eine Sekunde kehrte der nächtliche Hirnspuk zurück, ehe er unaufhaltsam verrann, wie Wasser aus einem Sieb. Schaudernd schloß sie das Fenster.
Nach einem eiligen Frühstück brach sie mit Simon auf. Beim Hinausgehen bemerkte Paula, daß die Haustür nicht verschlossen war. Es war eine altertümliche Tür mit einer Messingklinke und ohne Schnappschloß. Sie tadelte sich im stillen für ihren Leichtsinn. Jeder hätte in der Nacht hier aus und ein gehen können.
Mit einem seltsamen Gefühl schob sie die verdreckten schwarzen Pumps in eine Ecke, zog die Tür hinter sich zu und schloß sorgfältig ab, als könne sie damit etwas wiedergutmachen.
Sie wuchtete eben das Motorrad aus dem Schuppen, als sich der Mann näherte. Er trug einen dunkelblauen Arbeitskittel über seinem Anzug und nickte ihr zu. Seit zwei Tagen werkelte er auf dem Grundstück herum, man wußte nie genau, wann er kam oder ging, er tauchte auf und verschwand, wie ein Gespenst. Allerdings leistete das Gespenst gute Arbeit.
»Guten Morgen«, sagte Paula.
»Guten Morgen«, echote Simon.
»Morgen. Ich bräuchte den Schlüssel«, sagte er, »zum Schuppen. Damit ich die Jeräte wegsperren kann, wenn ich fertig bin.« Nun, da er erstmals einen längeren Satz mit ihr sprach, klang ein schwacher, aber seltsam vertrauter Akzent durch. Paula kam es vor, als ob der Mann leicht berlinerte, er schien sich jedoch anzustrengen, das zu vertuschen.
Paula erinnerte sich schlagartig an die gestrige Unterredung mit Doris. Ihre Hand zitterte ein wenig, als sie ihm den Schlüssel reichte. Seine Hände waren schmalfingrig und nahezu fleischlos, durch die Arbeit waren sie rissig geworden, Dreck saß tief in den Poren.
»Sie können den Schlüssel durch den Briefschlitz in der Haustür werfen«, sagte sie und registrierte verärgert, daß sie dieser Mensch verunsicherte.
»Geht’s Ihnen gut?« fragte er. Eine ganz nüchtern gestellte Frage, aber irgendwie respektlos, geradezu ungehörig, außerdem sah er sie dabei bohrend an. Unwillkürlich zuckte Paula zusammen.
»Ah … ja, danke.«
»Ich schneide heute das Gebüsch am Seeufer. Zum Laubkehren komm’ ich wieder. In zwei, drei Wochen, wenn alles unten liegt.«
»Ja«, stimmte Paula zu, »das ist gut. Also dann … Komm jetzt. Simon, es wird Zeit.« Eine überflüssige Aufforderung, denn Simon stand schon die ganze Zeit abwartend neben ihr.
»Soll ich den Steg reparieren?«
»Was?«
»Den Steg. Da, am Seeufer. Die Pfosten sind kaputt, er hängt schief.« Er deutete auf Simon. »Ist gefährlich, für Kinder.«
»Sie mögen wohl Kinder«, fragte Paula und merkte, wie ihr im selben Moment die Röte ins Gesicht schoß. Er antwortete nicht, sondern lächelte, zum ersten Mal lächelte er, es war ein leises, spöttisches Lächeln, das Paula noch mehr irritierte.
Sie schob ihr Motorrad ein paar Schritte weiter, dann drehte sie sich zu ihm um. »Wenn Sie sich das zutrauen, ja, das wäre nicht schlecht. Simon, setz deinen Helm auf.« Ohne zu antworten verschwand er grußlos im Innern des Schuppens.
Sie sah auf die Uhr. Schon fünf nach neun, jetzt aber flott. Sie stoppte am Beginn des ungeteerten Weges, der zwischen Sport- und Spielplatz zum Hintereingang des Kindergartens führte. Der Weg war eine Abkürzung für Fußgänger aus Richtung Ziegeleiberg, und er würde Paula zwei Ampeln ersparen.
Sie hob Simon vom Motorrad. »Simon, würdest du den Rest bitte alleine gehen? Du kannst das doch schon, oder? Die Jutta hilft dir beim Ausziehen. Nur ausnahmsweise, weil ich heute so spät dran bin, hm?«
Zögernd nahm Simon seinen Helm ab. Er nickte. Sie sah ihm an, daß er lieber von ihr hingebracht worden wäre.
»Nur heute, mein Schatz, okay?« Wenn er nein sagt, bringe ich ihn hin, dachte Paula in einem plötzlichen Anfall von Reue. Himmel, er ist doch erst vier!
»Okay«, sagte Simon und streckte ihr seinen Helm hin. Sein Kuß durch das geöffnete Visier
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