Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Stadtkuriers , und seine Frau Inge. Inge war eine ruhige, freundliche Frau, die sich voller Begeisterung von einer neuen Diät in die andere stürzte, deren Körper aber dennoch einem Nachfüllpack für Flüssigwaschmittel ähnelte. Sie überreichte Paula das Geschenk der Redaktion. Paula hoffte, daß es sich diesmal wenigstens für den Flohmarkt eignen würde, Sperrmüll stapelte sich bereits genug auf dem Dachboden. Sie bedankte sich artig und stopfte die mitgebrachten Blumen. seufzend in eine Vase. Schnittblumen, insbesondere Gerbera an Drähten, konnte sie genauso gut leiden wie singende Geburtstagskarten. Noch während die Weigands den festlich gedeckten Tisch bewunderten, trafen Barbara und Hermann Ullrich ein, und gleich hinter ihnen schlüpfte Doris durch die Tür.
Barbara, im kleinen Schwarzen, begrüßte Paula überschwenglich. Wie stets bei ihren seltenen Besuchen fand sie bewundernde Worte für das Haus. Die Ullrichs wohnten im Westen der Stadt, wo ›das Kapital hockte‹, wie Paula zu lästern pflegte. Wäre Lillis Vater, der alte Schimmel, weniger stur und exzentrisch gewesen – »Ich wohne bei meiner Fabrik und nirgendwoanders!« –, hätte sich die Schimmel-Villa nahtlos zwischen die dortigen Prachtbauten mit ihren großzügigen Gärten und dem alten Baumbestand eingereiht, anstatt hier, auf der proletarisch-mittelständischen Seite der Stadt ›fehl am Platze zu sein, wie eine seltene Rose zwischen Primeln und Stiefmütterchen‹, wie sich Barbara Ullrich auszudrücken pflegte.
Hermann Ullrich war zum ersten Mal zu Besuch. Interessiert blickte er sich um. »Sieh nur, Schatz, was für wunderbare Bodenfliesen«, rief Barbara, als sie sich aus ihrem Modellmantel schälte, der eine frappante Ähnlichkeit mit einer karierten Pferdedecke aufwies. Sie überprüfte ihr Make-up in dem großen rautenförmigen Jugendstil-Spiegel mit dem Goldrahmen, während Hermann ihren Mantel in Empfang nahm und Paula drei weiße Lilien reichte, die in einer Schärpe aus lila Seidenpapier arrangiert waren.
»Seit wir unsere Terrasse neu gepflastert haben, habe ich einen Blick für Bodenfliesen«, erläuterte Barbara. »Ich habe die Steine in Italien ausgesucht, schon im Frühjahr, und wißt ihr, wann sie gekommen sind? Vor drei Wochen! Als der Sommer vorbei war. Mein Hermann hat sie eigenhändig verlegt, weil natürlich auf die Schnelle kein Handwerker zu bekommen war, sie haben ja nie Zeit, wenn man sie braucht.« Sie tätschelte ihrem Hermann die Wange, offensichtlich stolz auf seine handwerklichen Fähigkeiten.
»Sie sind entsprechend holprig«, murmelte er verlegen. »Aber Barbara wollte unbedingt …« Angelockt vom Begrüßungsgeschnatter, kam Simon im Schlafanzug die Treppe herunter.
»Was ist denn hier los?« krähte er, hocherfreut über die ungewohnte Menschenansammlung.
»Ah, mein kleiner Räuber«, flötete Doris, die bis jetzt noch kaum zu Wort gekommen war, mit jener piepsigen Kinderstimme. die Paula so zuwider war, »sooo lange habe ich dich nicht gesehen.«
»Und jetzt wieder ab ins Bett mit dir«, sagte Paula zu Simon.
»Was denn, er darf nicht mitessen?« fragte Doris mit übertriebenem Entsetzen und sah Paula anklagend an.
»Er hat schon gegessen«, entgegnete Paula kurz angebunden und parierte den Blick, indem sie fragte: »Was macht denn Max? Hast du einen Babysitter für ihn gefunden?« Es mochte ein Zufall sein, doch nach dieser Frage war es ein, zwei Sekunden still in der Diele, als schienen alle auf eine Antwort zu warten.
»Er schläft schon«, antwortete Doris knapp.
Bei Paula blitzte flüchtig der Gedanke auf, daß sie gar keinen Babysitter hatte, und Barbara erging es wohl ähnlich, denn ihr vielsagender Blick begegnete dem Paulas, ehe Simon die Stille unterbrach: »He, was ist denn das? Ist das von einem Piratenschatz?« Er streckte die Hand nach Barbara Ullrichs kupfernem Ohrring aus, der Form und Größe eines chinesischen Essensgongs hatte.
»Simon!« mahnte Paula. Auf einmal wurde ihr bewußt, daß sie und ihre Gäste bereits ungehörig lange in der Diele herumstanden. Doris hielt noch immer ihr kleines Geschenk in der Hand, sicher hatte sie wieder ein Seidentuch bemalt, Hermann Ullrich hatte den Mantel seiner Frau kurzerhand selbst an die Garderobe gehängt und bewunderte nun, mangels einer anderen Beschäftigung, das Schlüsselkästchen aus Mahagoni, das neben dem Spiegel hing. Es besaß filigrane Einlegearbeiten aus Elfenbein und Schlüsselhaken aus Goldmessing in Form von
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