Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Elefantenrüsseln, niemand wußte genau, aus welchen dunklen Kanälen Tante Lilli dieses Kleinod gefischt hatte. Barbara war in die Hocke gegangen und inspizierte fachmännisch die Bodenfliesen, die der alte Schimmel beim Abriß einer Kirche für ein Spottgeld erworben hatte, zu Zeiten, als man es mit dem Denkmalschutz noch nicht so genau nahm, und Simon nutzte diese Gelegenheit, um ihren Ohrring staunend durch die Finger gleiten zu lassen. Während der ganzen Zeit warteten die Weigands alleine am gedeckten Tisch. Was bin ich bloß für eine miserable Gastgeberin, sagte sich Paula und forderte ihre Gäste auf hereinzukommen. »Simon, bring bitte die Blumen in die Küche, und dann ab nach oben mit dir!«
Etwas verlegen nahm Paula Doris’ Glückwünsche und das kunstvoll verpackte, selbstbemalte Schächtelchen entgegen. Kaum hatte Doris die Hände frei, umarmte sie Simon, der prompt verlangte, von ihr ins Bett gebracht zu werden, wofür Paula dankbar war, denn so konnte sie endlich ihren Pflichten als Hausherrin nachkommen. Wäre doch Lilli hier, dachte sie mit einem Anflug von Panik, sie managt eine Garnison Gäste mit dem kleinen Finger, während ich schon bei fünf Leuten versage.
Doris und Simon arrangierten die Lilien in der Glasvase, dann verschwanden sie unter Kichern und Gewisper nach oben.
»Was für ein pfiffiges Kerlchen«, meinte Barbara, »wo hat er nur diesen Charme her?«
Paula überhörte die letzte Bemerkung zugunsten der ersten, die für Barbara einem Sprung über den eigenen Schatten gleichkam. Barbara und Hermann hatten einen Sohn gehabt, der am Down-Syndrom litt und etwa in Simons jetzigem Alter gestorben war. Das war sechs Jahre her, und seitdem ging Barbara Kindern aus dem Weg, widmete sich statt dessen mit fast religiöser Hingabe der Theaterarbeit.
Paula entschuldigte sich kurz und traf die nötigen Essensvorbereitungen, die nur durch die Ankunft des letzten Gastes, Siggi Fuchs, unterbrochen wurden. Er küßte Paula übertrieben stürmisch und überreichte ihr ein Geschenk, das sich nach Buch anfühlte.
»Sicher erzählt Doris deinem Sohn eine neue Geschichte«, meinte Barbara eine halbe Stunde später, als ihr Mann und Weigand bereits hungrig nach der Tür schielten. »Ich habe ihr neues Buch Der dicke Hamster Benjamin schon dreimal verschenkt, die Kinder meiner Schwester sind ganz wild drauf. Diese süßen Zeichnungen! Sie ist wirklich begabt.
»Ja, das ist sie«, bestätigte Paula und sah ein wenig gereizt zur Uhr. Man hätte eigentlich längst mit der Vorspeise beginnen können. Die Entenleber wurde in der Backröhre bestimmt nicht zarter, und der Feldsalat fing sicher schon an, zusammenzufallen, um dann matschig wie Froschlaich auf dem Teller zu liegen. Es dauerte jedoch weitere verkrampfte zehn Minuten, ehe Doris wieder erschien. »Tut mir leid«, sagte sie mit schuldbewußtem Augenaufschlag, »er wickelt mich jedes Mal um den Finger. Noch eine Geschichte, und noch eine …«
Paula sagte nichts dazu und beeilte sich, die Teller zu holen.
»Du siehst gut aus«, hörte sie im Hinausgehen Siggi Fuchs sagen. Meinte er sie? Nein, er sprach mit Doris, und zweifellos hatte er recht. Ihr dunkelblondes Haar war in weichen Locken um ihr dezent, aber perfekt geschminktes Gesicht arrangiert, die eleganten Augenbrauen, um deren Schwung Paula sie oft beneidete, waren frisch gefärbt, die Wimpern lang und blauschwarz, eine neue azurblaue Seidenweste ließ ihre Augen im selben Ton leuchten. Der hauchzarte Mandelduft eines Parfums, dessen Namen sie seit Jahren geheimhielt, umgab sie. Paula selbst war wenig Zeit geblieben, sich herzurichten. Mit der hastig aufgetragenen Wimperntusche und dem dunkelroten Lippenstift war ihr das eigene Gesicht jedoch bereits fremd genug, und mit ihrem kurzen Haar ließ sich nicht viel mehr anstellen, außer es zu waschen, damit es nicht allzusehr nach Küche roch.
Doris dagegen hatte das ganz große Programm durchgezogen, bemerkte Paula anerkennend, und sie wußte auch zu schätzen, daß dieser Aufwand ihr galt, denn offensichtlich nahm Doris die Einladung als Geste der Aussöhnung. Paula hatte nicht viel übrig für Frauen, die sich nur für Männer zurechtmachten.
»Ich hoffe, es schmeckt euch«, lächelte sie wenig später bei Tisch, froh, daß die Speisen nicht die befürchteten Schäden erlitten hatten. Sie hob ihr volles Glas. Doris prostete ihr zu. »Auf dich. Und auf Simon.«
Zwei Stunden danach lehnte sich Paula entspannt auf ihrem Stuhl zurück. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher