Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
glaube nicht …«
»Aber nein, Doris«, äffte sie Paula mit widerlichem Tonfall nach, und ein irres, meckerndes Lachen brach aus ihr heraus, wie Paula es noch nie bei ihr gehört hatte; sie umklammerte Paulas Schultern, ihre rosa Fingernägel krallten sich schmerzhaft in Paulas Fleisch, als sie schrie: »Ha! Du glaubst nicht! Du und dein Sozialtick, du bist womöglich schuld, daß Max …«
In diesem Moment ging die Tür auf, und Bruno Jäckle betrat das Zimmer, hinter ihm Jürgen Körner. Doris ließ Paula auf der Stelle los, sank kraftlos auf das Sofa und blickte stumpfsinnig vor sich hin, während Paula hilflos vor ihr stand und sich so elend fühlte wie nie zuvor in ihrem Leben.
Jäckle räusperte sich.
»Entschuldige«, flüsterte Doris und wischte sich die Augenwinkel. »Das wollte ich nicht sagen.«
»Fehlanzeige«, sagte Jäckle zu niemand Bestimmtem.
»Sie werden es aber noch an anderen Stellen versuchen, wenn’s sein muß, den ganzen Tag.«
Doris stand auf und ging zu Jürgen, der mit einer in langen Jahren einstudierten Geste den Arm um sie legte. »Vielleicht hat sich der Hund getäuscht«, sagte Doris. Sie sah abwechselnd Jürgen und Paula an, ihre Augen hatten einen hohlen Glanz, wie Glasmurmeln. »Vielleicht ist Max entführt worden. Ich meine, wir sind zwar keine Millionäre, aber ich hatte in letzter Zeit doch viel Presse, wegen meines Kinderbuchs. Vielleicht denkt deswegen einer, ich sei reich.« Sie sah Jürgen so erwartungsvoll an, daß dieser nur bestätigend nicken konnte. »Hat denn immer noch niemand angerufen?«
Jäckle schüttelte den Kopf. Drüben, im Haus der Körners, bewachten Kommissar Hofer, der eiligst von seiner Kur an seinen Arbeitsplatz zurückgeeilt war, und der junge Wurmseher das Telefon. Doch das war nur ein Vorwand, Jäckle glaubte nicht an eine Entführung. Kindesentführer pflegten sich rasch zu melden, bevor der ganze Polizeiapparat in Gang gesetzt war. Vielmehr hatten die zwei den Auftrag, das Haus auf dezente Weise genauestens zu untersuchen. Vom Keller bis zum Dach. Gerade Keller und Dach. Schränke, Tiefkühltruhen und Blumenbeete.
Der dritte Taucher stieg soeben aus dem Wasser, sein Anzug glänzte vor Nässe.
»Schau«, rief Doris, und es klang unnatürlich fröhlich und lebhaft, »der hat auch nichts entdeckt. Es gibt noch Hoffnung, daß er lebt.«
Das Wort Hoffnung war es, das Paula erneut erschauern ließ. Hoffnung hieß, daß da auch das Gegenteil war und daß die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Gegenteil zutraf, die größere war.
Bruno Jäckle gähnte. Ein anstrengendes Wochenende lag hinter ihm, mit nichts als Frust. Die »Golden Lion Basement Gang« hatte am Freitagabend ohne ihn spielen müssen, und die Ermittlungsergebnisse waren bislang recht mager. Nichts Brauchbares von der Spurensicherung, keinerlei vernünftige Zeugenaussagen. Der einzige – wieder einmal – festgenommene Verdächtige schwieg sich aus, bald würde man ihn laufen lassen müssen. Hätte er einen guten oder wenigstens einen teuren Anwalt, wäre er jetzt schon frei. Die Durchsuchung des Bauwagens und der Wohnung seiner Mutter hatte rein gar nichts ergeben, auch nicht die Befragungen der gesamten Nachbarschaft. Außer natürlich, daß sie alle den »Ruß’«, wie sie ihn nannten, für zweifelsfrei schuldig hielten. Es gab sogar einige, die ihn an dem Morgen beim Kindergarten gesehen haben wollten, doch bei genauerem Nachfragen verhedderten sie sich in Widersprüche.
Wie viele noch? schrie ihm die Schlagzeile eines Boulevardblattes von seinem Schreibtisch entgegen. Der Hofer hatte es ihm hingelegt. Neben seinem verkrusteten Kaffeebecher sah er das verschwommene Foto eines Mannes zwischen zwei uniformierten Polizisten und die Bildunterschrift:
Ist das die Bestie von Maria Bronn?
Den Rest konnte man sich schenken. Angeekelt versenkte er das Exemplar im Papierkorb. Die Montagsausgabe des Stadtkuriers hielt sich eher zurück. Ermittlungen laufen auf Hochtouren, hieß es dort wahrheitsgemäß in fetten Lettern, und der Bericht fuhr fort:
(wg) – Der Fall des vermißten fünfjährigen Max Körner aus der Ziegeleisiedlung gibt noch immer Rätsel auf. Das Kind stieg, wie eine Zeugin bestätigte, am Freitagmorgen kurz nach acht Uhr aus dem Auto seiner Mutter. Es nahm von dort den Fußweg, der zwischen Sport- und Spielplatz zur Rückseite des St.-Michaels-Kindergartens führt. Fest steht, daß Max Körner nie dort ankam. Laut Hauptkommissar Bruno Jäckle ist es »sehr
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